Rumänien – Hübsch und Hässlich

Wir kommen früh am Nachmittag in Sibiu, Herrmannstadt, an. Nach den vielen Tagen in der Natur und an kleinen manchmal ärmlichen dörflichen Strukturen vorbei sind wir erstaunt darüber, wie freundlich, aufgeräumt und vor Allem weltgewandt die kleine Stadt in Transsilvanien ist. Sibiu hat schätzungsweise 120.000 Einwohner. Die Innenstadtstruktur stammt aus dem Mittelalter. Von den Häusern im Zentrum steht noch eine stolze Anzahl, wobei unklar ist, ob sie immer so gut in Schuss gehalten wurden oder nach 89 oberflächlich restauriert wurden, um den Tourismus anzukurbeln. Ich vermute, dass die Siebenbürger Sachsen, von denen die meisten nach dem Ende des kalten Krieges nach Deutschland ausgewandert sind, ihrer Liebe zu ihrer Heimat unter Anderem dadurch Ausdruck verleihen, dass sie Geld in den Erhalt ihrer heimlichen „Hauptstadt“ stecken. Schon in Dresden fragten wir uns, wie all dieser Prunk und die historischen Gebäude den Sozialismus überstanden haben, symbolisieren Kirchen, alte Bürgerhäuser und die Prunkbauten vergangener Zeiten doch all die Ungleichheit und das Besitzdenken, das der Sozialismus abschaffen wollte. Hier in Sibiu fragen wir uns das wieder. Soweit ich mich erinnern kann, hat Cheaucescu sukzessive Dörfer entleert, zerstört und die Bauern in neu gebauten Plattenbauten wieder angesiedelt. Vielleicht hat er in Bukarest angefangen mit seiner Zerstörung und ist einfach nicht bis Herrmannstadt gekommen, weil er ja bekanntermaßen vorher ermordet wurde? Oder gab es hier wie in Dresden eine handvoll Bürger, die um den Erhalt dieser wunderbaren Gebäude gekämpft hat? Wir werden es wohl erst nach dem Urlaub erfahren, denn Internet gabs unterwegs nur zum Hochladen der Berichte und Mails lesen. So richtig unglücklich sind wir darüber nicht. Gibt halt dadurch nicht so viele Links zum Weiterlesen. Dafür Informationen aus erster Hand 😉

Eigentlich wollten wir am gleichen Abend noch wieder herausfahren aus der Stadt, weil wir in Bukarest verabredet sind, um wichtige Post aus Deutschland zu empfangen. Tja, so ganz hat uns der Organisationsalltag auch nach 3 Wochen unterwegs noch nicht losgelassen. Aber Herrmannstadt gefällt uns so gut, dass wir lieber noch ein wenig durch die Strassen streifen und lecker essen gehen. Dafür nehmen wir sogar erstmals in Kauf, direkt an einer großen Ausfallstrasse zu übernachten. Wir genießen die entspannte Stimmung in der Stadt, die schönen Plätze und, ja, sogar den sanften Kulturtourismus, der sich hier abspielt.

Herrmannstadt ist wie wir von einem Paar am Nachbartisch des Weinkellers erfahren, ein guter Startpunkt, um die Wehrkirchen Siebenbürgens zu besuchen. Ja, Wehrkirchen, fällt es auch mir nun wieder ein. Eine davon steht in Michas Heimatdorf Calnic, Kelling. Der nette Herr vom Nachbartisch entfaltet einen Plan von Transsilvanien, auf dem zu sehen ist, das quasi jedes zweite Dorf hier über eine solche Kirche verfügt. Ich erinnere mich gut. Sie sind wirklich eine Mischung aus kleiner Trutzburg mit Wehr- und Kirchturm. Mit wehem Herzen werden wir am nächsten Tag Herrmannstadt verlassen und uns auf den Weg über Brasov und die angebliche Draculastadt Bran, quer über die Karpaten nach Bukarest machen. Jetzt essen wir aber erstmal herrlich und für viel zu viel Geld im Weinkeller und trinken guten rumänischen Rotwein zu siebenbürgischen Krautwickeln, Eisbein mit Sauerkraut und süßen Krapfen zum Nachtisch.

Nach einer wie erwartet lauten Nacht machen wir uns am nächsten Tag auf den Weg. Aus irgendeinem Grund zieht es uns nach Bran, wo das Schloss steht, welchem man nachsagt, Draculas Sitz gewesen zu sein. Ich Dummerchen. Eigentlich weiß ich, dass die Figur Dracula dem grausamen Herrscher Vlad III nachempfunden ist, der aber gar nicht in Bran residierte. Deshalb hätte es mich nicht wundern sollen, dass wir, nachdem wir durch eine wundervolle Tiefebene gefahren sind, schliesslich ein kleines Berg-Dörfchen erreichen, in dem wir neben dem vermeintlichen Schloss des Grafen Dracula auch diverse ziemlich aufgemotzte 4-Sterne Pensionen und Hotels, sowie SPAs und Lifte und diverse Dracula Entertainmentformate vorfinden, sowie eine für Rumänien nicht unerhebliche Zahl an Touristen mit großen Sonnenbrillen, noch größeren Kameras und dumpf fragenden Blicken, sowie eine Ansammlung von Reisebussen. Lauter Gründe, um das Dorf sofort wieder zu verlassen, was wir dann auch tun, nicht ohne ebenfalls ein Foto geschossen zu haben, und wenn es nur ist, um die Geschichte vom Ballermanntourismus in Bran zu untermalden.

Dann steuern wir Brasov an, weil ich wie so oft meine, den Namen der Stadt schon einmal in Verbindung mit schön gehört zu haben und weil wir es uns trotz des Treffens in Bukarest nicht nehmen lassen wollen, wenigstens ein bisschen was von Transsilvanien zu sehen. Hinter Herrmannstadt fängt auch für mich endlich die Terra Incognita an, weiter weg war ich mit dem eigenen Wagen noch nicht. in Brasov angekommen müssen wir wie immer erstmal ein wenig ausserhalb der Stadt parken, weil der Dicke halt einfach nicht hinein darf. Und ich muss zugeben, dass es zumeist auch ziemlich eng wäre in den Innenstädten. In Herrmannstadt konnte man mich schon winkend auf der Strasse stehen sehen, weil Robert und ich dachten, dass wir aus der kleinen Gasse in die wir uns verirrt hatten nicht mehr herauskommen. Wir haben keinen Stadtplan und hangeln uns deshalb von Bushaltestelle zu Bushaltestelle durch die Stadt, um das Zentrum zu finden. Schlieelich finden wir eine Basilika, eine für die typischen kleinen rumänischen Höfe links und rechts wahnsinnig überdimensionierte Hauptstrasse und einen ehr freundlichen Rumänen, der auf unsere Frage nach dem Centro istorical erst fragend die Augenbrauen nach oben zieht, dann mit den Achseln zukct und schliesslich sagt „centro istorico – no“. Und so ist es denn auch. Dieses blöde Brasov liegt zwar wunderschön am Fuße der Karpaten, aber es ist unfassbar hässlich. Wo hier früher mal das Stadtzentrum gewesen sein soll, bleibt auch nach Stunden unklar. Wir ärgern uns erst ein wenig, dass wir nun ausgerechnet dieses hässliche Städtchen ausgesucht haben, um unseren ohnehin zu flüchtigen Eindruck von Transsilvanien zu ergänzen. Dann finden wir den Gegensatz zwischen dem lieblichen Herrmannstadt und dem fast schon abstossend hässlichen Brasov  in Ordnung, denn hier zeichnet sich die sozialistische Vergangenheit überdeutlich ab. Hässliche Fassaden verschiedener Epochen wechseln sich ab und fast stimmt es uns traurig, dass sich offenbar niemand jemals die Mühe gemacht hat, dem Städtchen auch nur ein einziges schönes Haus, eine einzige Sichtachse oder einen Park zu schenken. Nirgendwo möchte man sich hier länger aufhalten, selbst unser Sinn für abgeschabte Industrieromantik vermag hier nichts sehenswertes auszumachen. Trotzdem hat Robert am Ende eine Menge Fotos geschossen von all der Hässlichkeit.

Froh, weiterfahren zu können sind wir aber dann doch. Es geht in die Karpaten. Wir hoffen, dort über den Pass fahren zu können und dann ca 60 km vor Bukarest einen Übernachtungsplatz zu finden. Wir haben immer noch keine Detailkarte von Rumänien, weil ich mich geweigert habe, eine Karte von 2009 zu kaufen. Schliesslich sieht man doch, dass viele Strassen erst danach fertiggestellt wurden und anders liegen als zum Beispiel in unserem alten Europaatlas abgebildet. Der ist auch von 2008 und muss reichen. Es gibt also nun offensichtlich seit wenigen Jahren zwei Strassen von Brasov über die Karpaten. Nur welche ist welche? Welche ist besser zu fahren und welche schlechter? Schliesslich sind die Karpaten bis zu 2.500 Meter hoch und damit die bisher höchsten Berge über die wir mit dem Magirus fahren. Da wollen wir nicht gleich die unwegsamste Strecke und den höchsten Pass nehmen. Leider ist aufgrund der beschriebenen Kartenthematik nicht herauszufinden, welche Strasse die unsere ist und wir entscheiden nach Bauchgefühl.

Genau genommen wissen wir jetzt immer noch nicht, ob wir die leichtere oder die schwerere Strecke gewählt hatten. Klar ist, dass sie ziemlich kurvig war, der Pass reichlich hoch lag und alle LKWs diesen Weg nehmen. Das Thema Straßenunterspülung ist auch hier virulent und soll wohl irgendwann angegangen werden. Vermutlich auf ganzer Streckenlänge gleichzeitig. So lange sperrt der schlaue Rumäne eben eine Hälfte der ohnehin eher schmalen Strasse mit Absperrband ab. Die eine oder andere dieser Absperrungen kreuzt unseren Weg, gekennzeichnet á la Romanesc, also erst genau dann, wenn man schon fast im Loch versunken ist. Ich bin froh, auch an diesem Tag nicht der Fahrer zu sein, denn es warten weitere Abenteuer auf der Strecke. Hier und da sind die steilen Kehren zu schmal für die 5- und 6-Achser, die uns entgegen kommen und so brauchen sie die ganze Strasse um herumzukommen. Für denjenigen, der von oben herabkommt ist das eine Herausforderung, denn erstens sieht man nicht, ob da gerade jemand um die Kurve kommen wird und zweitens stören sich die ächzend den Berg heraufkletternden rumänischen LKWs auch nicht um solche Kleinigkeiten wie einen orangenen 7,5 Tonner. Mehrfach hält Robert frühzeitig an, um eine Karawane dicker 20-Tonner vorbeizulassen. Darüber bin ich sehr erleichtert, denn hätte er das nicht getan, hätten wir in den ungesicherten Strassengraben ausweichen müssen.

Mehr davon? Gerne: es regnet in Strömen und wird früh dunkel, unser rechtes Abblendlicht ist leider wieder ausgefallen, so dass wir eher funzeln als leuchten, das Fernlicht blendet die entgegenkommenden Fahrer, so dass Robert abblendet, sobald uns jemand entgegenkommt. Da in den Bergen keine Städte sind, umgibt uns danach totale Dunkelheit, so dass wir nicht mal mehr die Strassenbefestigung auszumachen in der Lage sind. Und last but not least fängt es plötzlich schmurgelig an zu stinken, als wäre ein Elektrokabel durchgeschmort. Robert hält bei gefühlten 10% Steigung und untersucht alles, findet die Schmurgelstelle aber nicht. Er tröstet mich damit, dass er für den Fall der Fälle ja weiß, wo der Feuerlöscher hängt. Manchmal bin ich froh, dass er sich für den Maggi mehr verantwortlich fühlt als ich und ich einfach drinnen sitzen bleiben kann, während er nach irgend etwas sucht un repariert. Ich gebs zu, manchmal ist es für mich angenehmer, in der passiven Rolle zu bleiben. Ich bin schliesslich schon vom Beifahren erschöpft, als wir die Berge hinter uns gelassen haben und nach längerer Schlafplatzsuche beim Versuch den Parkplatz eines Klosters auszumachen neben einem Ölfeld auf einem Schotterplatz zum Stehen kommen.

Und trotzdem haben wir einige der spektakulärsten und dramatischsten Bergsichten unserer bisherigen Strecke erblickt und mehrfach laut Ohh und Ahh ausrufen müssen beim Anblick der Vielschichtigkeit der Karpaten mit ihren dichten Wäldern vor dem dramatisch dunklen Regenhimmel oder wenn sich unvermittelt ein Blick in tiefes Tal erschloss. Das hebt die Strapazen der Strecke um ein Vielfaches auf und auch hier hätten wir gerne mehr Zeit verbracht.

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