Als wir auf dem Schotterplatz aufwachen haben wir Besuch. Vier Hunde stehen bereits erwartungsvoll unter unserem Fenster und warten, dass sich endlich etwas tut in diesem fremden orangenen Klotz. Als Robert das Fenster öffnet kommen sie sofort näher heran und blicken uns an mit ihren hungrigen Straßénköteraugen. Unser beider Köpfe hängen nun aus dem Fenster heraus. Süss sind die Vier und eigentlich sehen sie nicht krank aus und auch nicht bedrohlich, schliesslich wedeln sie mit dem Schwanz und kläffen nicht. Der Dickste ist der Rudelführer, die drei Kleinen fügen sich. Der kleine Graue zieht ein Bein nach und ist vermutlich spätestens dadurch auf den niedrigsten Rang im Rudel gerutscht. Das bemerken wir schnell, als wir nach einigem Überlegen, was wir an die Hunde verfüttern könnten, Brotstücke herabwerfen. Der Dicke Hund hat das Sagen, dann kommt der kleine Struwwel, dann der junge Gescheckte und schliesslich die kleine Hündin. Der dicke Rudelführer und der kleine Struwwl springen sogar nach dem Brot. Als Robert schon das halbe Brot verfüttert hat, nehme ich es ihm ab und stecke es weg.
Allein, wie komme ich jetzt zu meinem Kaffee? Die Gasbombe drehen wir immer zu bevor wir losfahren. Um sie aufzudrehen muss man aus dem Maggi steigen, sich hinter den Wagen begeben, niederknien und dann mit der Hand durchgreifen bis zum Gashahn. Alles in Allem eine Aktion von einer Minute. Was aber, wenn die Hunde nicht mitspielen? Von oben betrachtet scheinen sie freundlich und süss, aber wenn einer von uns herausgeht und sich niederkniet, werden die verwilderten Hunde uns dann als ranghöher anerkennen oder uns anspringen oder gar beißen? Robert sagt, dass er heute gar keine Lust hat, dieses wenn auch nicht besonders hohe Risiko einzugehen. Ich sehe meinen Kaffee entschwinden.
Da hält ein rumänisches Auto auf dem Schotterplatz, ihm entsteigt ein älteres Paar mit einem etwa zweijährigen Kind. Die Hunde schiessen sofort los, aber sie halten einen guten Arm lang Abstand zu den Menschen, die nun beginnen, altes Brot aus einer Tüte an die Hunde zu verfüttern. Kein Knurren, kein Bellen entfährt dem kleinen Rudel und so wage ich mich wenig später todesmutig mit einem Knüppel bewaffnet aus dem Wagen und drehe das Gas an. Zurück im Auto sage ich stolz zu Robert: so, heute habe ich etwas mutiges getan und Du kannst spülen. Das tut er dann auch, ganz ohne Knurren wie sonst.
Und weiter gehts nach Bukarest. Wir erwarten eine heruntergewirtschaftete osteuropäische Großstadt, entkernt und dann mit Plattenbauten zugepflastert. Wir machen uns auf eine lange und gruselige Einfahrt gefasst, ähnlich wie die nach Belgrad. Gegen 14 Uhr überqueren wir dann tatsächlich die Stadtgrenze und stehen mitten in einem großen Park, der von 6spurigen „Boulevards“ durchzogen ist, die wiederum auf Plätze mit so großartigen Namen wie Plata de Triunfo und Piata Charles de Gaulle zulaufen. Alles ist sehr aufgeräumt, sehr grün und sehr wenig abgerockt. Im Gegenteil, ganze Stadtviertel aus prächtigen Villen und Anwesen reihen sich um die riesigen Parkanlagen und die auf dem Land vorherrschenden blitzblanken VW Golfs werden durch blitzblanke SUVs, BMWs und Audis abgelöst. Wir fühlen uns wie in Paris und sind einmal mehr überrascht von Rumänien. Wir sind im Sector 1, dem Botschafts- und Reichenviertel angekommen, vielleicht erklärt sich so dieser erste Eindruck.
In den nächsten 48 Stunden geraten wir aus dem Staunen nicht mehr heraus und am Ende erklärt Robert Bukarest zu seiner neuen Lieblingshauptstadt. Aber eins nach dem Anderen.
Eigentlich hatten wir Bukarest gar nicht fest eingeplant auf der Reise, aber wie das Leben so spielt. Wir hatten vergessen, eine wichtige Unterlage zu unterschreiben und die einzige zuverlässige Möglichkeit um an sie heranzukommen war Frank. Frank ist ein ehemaliger Arbeitskollege und guter Freund von Robert aus Berlin. Er arbeitet für das bereits erwähnte Büro Krekeler aus Brandenburg derzeit in Bukarest und saniert eine prächtige Jugendstilvilla. Auch Robert hatte diesen Job angeboten bekommen, aber er wollte nur mit mir zusammen gehen und ich sah zu dem Zeitpunkt keinen Ansatzpunkt für einen Job. Ausserdem hatte ich das Gefühl, noch Dinge für den Verband erreichen zu müssen und wollte meinen Job nicht aufgeben. Robert fand das Projekt damals schon sehr spannend und wäre gerne gegangen, ich wie gesagt war zögerlich und sollte mir die Stadt erst einmal ansehen. Leider haben wir das nicht zustande gebracht damals und die Zeit drängte. Sicherlich wäre vieles anders gekommen als es jetzt ist und vielleicht hätte ich nicht eine so schwere Zeit gehabt wie im letzten Jahr, aber letztlich ist ja immer alles auch für etwas gut.
Nunja, auch Frank fand das Projekt spannend und nahm an. Seine Frau Valentine und sein heute 15jähriger Sohn sind in Berlin geblieben. Sie haben gemeinsam entschieden und wussten, dass es keine einfache Zeit werden würde. Er fliegt nun seit einem Jahr alle drei Wochen hin und her. Zusammengefasst würde Frank Valentine wohl bei einem ähnlichen Arbeitseinsatz nächstes Mal auch mitnehmen wollen. Sie hätte anders als ich damals im Moment auch nichts dagegen, mal 2 Jahre nichts zu tun oder etwas, das nicht auf allen Ebenen so fordernd ist, wie ihre Kanzlei. Heute würde ich auch sofort mitgehen, auch ohne Job. Naja, so ist das eben, nachher ist man immer schlauer. Er sagt, Bukarest würde ihm so viel mehr Spaß machen, wenn er nicht abends immer alleine wäre. Und Valentine, die nun neben ihrem auch anspruchsvollen Job meistens alleine für den Sohn sorgt, sagt, dass ihr jetzt erst richtig klar ist, wie gut es ist, sich den Alltag mit Beruf und als Elternteil mit Frank zu teilen. Ich fand es sehr anstrengend ohne Robert in Berlin. Ich war nicht richtig Single und nicht richtigwir lebten aber auch nicht wie ein Paar, immer befand ich mich irgendwie in Wartestellung, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
Wir sind vom LKW auf die Baustelle gelaufen, die ebenfalls in Sector 1 liegt. Auf dem Weg haben wir schon eine kleine Sightseeingtour gemacht und die vielen gepflegten Häuser und Straßen bewundert. Im Viertel der Botschafterresidenz hängt an jedem Haus eine Gedenktafel an den Erbauer inklusive Nennung seines Berufes. Es sind viele Villen aus der Zeit zwischen 1870 und 1930 dabei, darunter einige Jugendstilhäuser mit überbordenden Stuckfassaden, geschwungenen und verschnörkelten schmiedeeisernen Dächern über den Eingängangstüren und großen schlanken schmiedeeisernen Fenstern. Dazu viel grün, Parks und Alleen. Insgesamt macht das einen sehr prächtigen Eindruck und wieder fragen wir uns, wie all der Prunk den Sozialismus überlebt hat.
Wir wundern uns auch über all den zur Schau getragenen Reichtum in dieser Stadt. Wo kommt er her? Gibt es Bodenschätze in Rumänien von denen wir bisher nichts wussten? Ist alles nur auf Pump gekauft und wird vom Munde abgespart? Sind die reichen Dicken allesamt Ganoven? Oder befindet sich Rumänien in einem so starken Aufschwung? Auf dem Land ist davon kaum etwas zu sehen, nur Herrmannstadt strahlt ähnlich viel Wohlstand aus. Der Unterschied ist, Herrmannstadt ist gediegen, Bukarest ist protzig. Wir sehen die größte und vermutlich teuerste Mall unseres Lebens, die USAmerikanischen eingeschlossen, wir essen in einem sehr schön gestalteten Restaurant im absoluten Zentrum zu Mittag, zu deutschen Preisen, der Sprit ist teurer als zuhause. Je größer übrigens das Auto, desto höher auch die Absätze der dazugehörigen Frau. Unglaublich, wie viele alte dicke Männer es in Bukarest gibt, die riesige schwarze Autos fahren und spindeldürre, sehr gepflegte blond oder schwarz gefärbte langhaarige junge Frauen mit mindestens 10 cm hohen Absätzen haben. Jeder, der etwas auf sich hält in Bukarest trägt glänzende Schuhe, Anzug oder Kostüm und fährt ein schwarzes Auto.
Ach, es ist immer etwas besonderes, Freunde im Ausland zu treffen. Die Stimmung ist speziell, vermutlich weil alle Beteiligten wissen, dass diese Begegnung nicht wiederholbar ist und deshalb alle mehr im Hier und Jetzt sind als normalerweise. Und deshalb den Tag auch einfach so sein lassen, wie er ist, ohne auf selbst gemachten Vorschriften oder Pflichten zu beharren. So ist es irgendwie auch hier mit Frank und seinem Kollegen Sven, der am Morgen zuvor aus Deutschland gekommen ist und – Danke Danke Danke – unser Dokument mitgebracht hat, das wir nun erleichtert unterschreiben. Zwei Stunden hänge ich im Büro ab und schreibe, während Robert ganz neugierig immer hinter Frank, der seinen Bauleiteraufgaben nachgeht und kritisch prüft, was die Rumänen so verzapft haben, um die Villa herum und auf die Villa drauf und in der Villa rund herum läuft und sich alles anschaut, dann laufen wir zu Frank nach Hause. Für die Zeit in Bukarest hat er sich eine sehr schöne Wohnung gemietet in einem Haus der 50er Jahre, mit dunklem Holzfussboden und Licht aus drei Richtungen und einem fast umlaufenden Balkon. Seine Einladung, bei ihm zu übernachten nehmen wir gerne an. Die am nächsten Tag zu Duschen auch! Zusammen fahren wir mit seinem Auto durch das nächtliche Bukarest zum Maggi, der auf einem Parkplatz nahe des Bukarester Vergnügungsparks steht. Einerseits, damit Sven und er den Dicken mal sehen, andererseits um Schlafsäcke und Isomatten zu holen. Dann gehen wir einkaufen und Frank kocht Spaghetti mit roter Soße, die wir auf dem Balkon verzehren, sehr lecker, und wir trinken viele Flaschen roten Wein dazu, auch sehr lecker. Viel zu spät und viel zu betrunken gehen wir alle ins Bett, nachdem wir Geschichten über die Arbeit, das Leben und Bukarest ausgetauscht und uns über europäische, rumänische, deutsche und internationale Macht- und Informationspolitik unterhalten haben. Fast ohne Diskussionen.
Hallo Eva,
so, ich habe mich herangelesen bis nach Bukarest. Ist toll was du schreibst. Ich muss mir mal eine Landkarte (google Mail oder so) zu Rate ziehen, um Euren Weg einigermaßen verfolgen zukönnen. Hildfreich wäre da, wenn du hin und weider auch mal den Namen einer kleineren Ortshcaft erwähnst durch die Ihr kommt.
Ich erhalte auch Mails von deinen Beiträgen, aber leider nicht in genau chronbologischer Reihenfolge.
Ich bin jedenfalls schon gespannt auf Bukarest n (n>1).
Euch weiterhin alles Gute auf Eurer Fahrt, herzliche Grüße, auch von Marcella Axel
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Hallo Papa, ich versuche mal, die Orte zusammenzubekommen. Liebe Grüße aus Sile an der türkischen Schwarzmeerküste! Weitere Berichte folgen. Umarme Dich und Grüße an Marcella, Eva
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Hallo Papa von Eva,
haben Sie was Neues gehört?
Roberts Eltern waren neugierig und haben sich bei mir erkundigt.
Viele Grüße aus Brandenburg, auch nicht ganz ohne Wißbegier
*stefan
per Email unter: poohdafg (aett] gmx [puenktchen) d e
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Hallo Stefan, Eva ists. Wir sitzen in Yerevan im Irish Pub und haben endlich mal wieder Internet! Uns gehts gut! Ganz viele liebe Grüße und Umarmungs, Eva und Robert
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Liebe Eva und lieber Robert,
nun hab ich es auch mal geschafft euren Bericht zu lesen…
Weiter so!!
Immer eine handvoll Diesel im Tank und keine Kabelbrände!!!
Grüße Jakob
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Hallo Jakob, bisher hats mit dem Diesel immer geklappt. Vorgestern erste Tiefmatschversuche gestartet und zwei Stunden Schaufeleinsatz geerntet 😉
Jetzt erholen wir uns am Schwarzen Meer mit Strandblick. Liebe Grüße! Eva und Robert
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