Wir fahren weiter Richtung Westen und machen halt in Uplistsikhe in der Nähe von Gori. Es handelt sich hierbei um eine uralte Höhlenstadt, die den Abschluss im Reigen der vom Menschen in den Stein gehauenen Klöster und Städte in Georgien für uns bilden soll.
Die Anfahrt ist wie so oft in Armenien und Georgien ein kleines Abenteuer. Die Ausschilderung ist spärlich, das Kartenmaterial lässt an Präzision zu wünschen übrig. Die touristische Infrastruktur ist nicht auf Individualreisende ausgerichtet, sondern auf Bustourismus mit ortskundiger Führung. Oft fragen wir uns, wie wir als Rucksackreisnde mit der Situation fertig geworden wären. Es gibt selten Pensionen oder andere Unterkünfte geschweige denn Zeltplätze, so dass wir ein ums andere Mal hätten wild campen müssen ohne jegliche Möglichkeit uns mit Wasser oder Nahrungsmitteln zu versorgen. Aber wir sind ja zum Glück mit dem Maggi unterwegs, aus dessen Innerem sich immer noch etwas zu Trinken oder Essen hervorzaubern lässt. So macht es großen Spaß, uns unseren Weg zu bahnen und diese Orte individuell zu entdecken. Die Belohnung dafür ist, dass wir selten auf aggressive touristische Infrastruktur treffen und uns die wunderschönen Orte nur mit wenigen anderen Menschen teilen müssen. Das i-Tüpfelchen ist, dass die Menschen Touristen nicht gewohnt sind und eine natürliche Neugierde an den Tag legen, so dass wir eigentlich immer sofort das Dorfgespräch sind und noch bevor wir den Maggi verlassen haben, bereits zum Tee eingeladen worden sind oder zum Wodka. Manchmal ist das allerdings auch anstrengend, denn neben georgisch sprechen die meisten Menschen hier nur ein sehr gebrochenes russisch, obwohl in den Schulen Englisch und oft auch Deutsch gelehrt wird. Man ist gut beraten, sich zur Kommunikation an die Kinder zu halten. Selbst mit 8-jährigen lässt sich oft besser Englisch, Deutsch, Französisch oder Italienisch sprechen als mit den Eltern oder Großeltern.
Das Beeindruckendste an Uplistsikhe ist wie so oft hier in der Kaukasusregion die Lage. Der ganz und gar von Höhlen durchzogene Felsen blickt von einer leichten Anhöhe herab in ein wunderschönes Flußtal. Zu Füßen der Höhlenstadt liegen die Stein-Ruinen eines wohl erst kürzlich verlassenen Dorfes und ein bis zwei Kilometer weiter befindet sich ein kleines unspektakuläres Dorf mit einer hübschen stählernen Hängebrücke über den Fluß, dessen Bett derzeit nur halb gefüllt ist. Im Frühling, wenn der Schnee in den Bergen taut, sprudelt und reißt er bestimmt. Jetzt stehen die Männer aus dem Dorf in der Dämmerung im Kies des Flußbettes und Angeln sich einen Fisch. Neben der neuen Hängebrücke sehen wir noch die ausgefransten Stahlende der alten vermutlich während der kurzen Besatzungszeit der Russen 2008 zerstörten Hängebrücke baumeln. Die Sonne strahlt vom blitzblauen Himmel und lässt die Blätter der Bäume in spätherbstlichen Geld und Rot leuchten. Der Fluß blitzt und blinkt aus dem Tal herauf und die Maserung der umgebenden Berge wechselt mit dem Stand der Sonne ihre Farbe. Ein großartiges Gefühl von Ruhe, Freiheit und gleichzeitiger Geborgenheit stellt sich ein. So möchten wir uns gerne öfter fühlen. Wie kommt so ein Gefühl bloß zustande?
Mensch und Natur leben hier auf dem Land noch viel enger zusammen als in Deutschland. Jeder besitzt eine Kuh, die morgens vom Kuhhirten abgeholt und über die Straße bis zur Weide getrieben wird. Abends versammeln sich alle Dörfler auf der Straße und warten in der Dämmerung darauf, dass ihre Kuh zurück gebracht wird. Sie halten einen Schwatz und gehen dann nach Hause. Egal wie heruntergekommen die Behausung, ein jeder hat ein kleines Gärtchen, in dem die Hühner frei herumlaufen und Tomaten, Gurken, Kürbisse, Kohl und mehrere Sorten Früchte gehegt und gepflegt werden. Im ganzen Land gibt es deshalb keine Milch im Supermarkt zu kaufen, eigentlich gibt es auch keine Supermärkte, sondern nur kleine Dorfläden mit wenigen Grundnahrungsmitteln, Wodka, Zigaretten und einigen Hygieneartikeln. So auch in diesem Dorf. In vielen Orten gibt es kein Wasser aus der Leitung, sondern einen Brunnen im Garten, oft sogar nur einen Dorfbrunnen. Das Klima in den Tälern ist so beschaffen, dass ein Teil der Küche drinnen und ein Teil draußen betrieben werden kann.
Und wo der Sozialismus keine Plattenbauen hingezimmert hat, da leben die Menschen ebenerdig oder in den schon erwähnten zweigeschossigen Holzhäusern mit den schönen großen Fenstern.
Wie auch aus der ehemaligen DDR bekannt, sind die Menschen seit JAhrzehnten an den Mangel gewöhnt. Sie nutzen alles was Natur und menschliche Hinterlassenschaft ihnen anbietet, um es irgendwie einzusetzen. Auf mich als Westkind, das im Überfluss aufgewachsen ist, wirkt das oft romantisch-morbide, Robert, der als Ostkind den Mechanismus der Mangelwirtschaft kennt, seufzt ein ums andere Mal laut auf und erinnert sich daran, wie beschwerlich es war, Materialien und Rohstoffe zu besorgen, die im Laden nicht zu kaufen waren.
Wir klettern in jede Höhle des Berges und genießen nach den lauten Tbilisi Tagen die Ruhe dieses Ortes, die wunderbare landschaftliche Kulisse und den schönen Sonnenschein.
Am nächsten Tag werkeln wir auf dem Parkplatz bei schönstem Sonnenschein in und am Maggi. Wir haben einen leider nicht so einfach reparablen Wasserschaden, wir reißen beide Wassertanks unter dem Bett heraus und finden dort Schimmel, sowie komplett durchgeweichte und angeschimmelte Styroporplatten und -schlimmer- Presspanplatten. Für einige Tage werden wir kein fließendes Wasser haben, bis Robert eine Behelfskonstruktion ins Bad baut, mit der wir mittlerweile gut zurechtkommen. Jeden Morgen reißen wir nun die Matratze vom Bett und öffnen die Bettkästen, in denen die Wassertanks sich vorher befanden, damit das Holz abtrocknen kann. Der Vorteil dieser Situation ist, dass Eva endlich warme Füße beim Schlafen hat, seit sich kein Wassertank mehr unter ihr befindet. Es ist ihr egal, ob sie sich einbildet, dass sie über dem Tank schlecht schlief oder nicht. Tatsache ist, seitdem das Ding weg ist, schläft sie besser.