Und weiter führt uns unser Weg nach Westen nach Kutaissi, der mit etwa 250.000 Einwohnern zweitgrößten Stadt Georgiens. In der Umgebung von Kutaissi liegt die Klosteranlage Gelati, die 1994 ins Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen wurde.
Wir finden die Klosteranlage etwa 20 Kilometer von der Stadt entfernt über einem Flußtal auf einem Berg. Davor ein schön asphaltierter Parkplatz, unser Stellplatz für heute Nacht. Wir wagen noch einen abendlichen Rundgang über das Gelände und bestaunen den schönen Blick ins Tal bis nach Kutaissi. Es dämmert und gerade gehen in der Stadt und den umgebenden Dörfern die Lichter an, das sieht schön aus. Wir betreten kurz die Hauptkirche und stellen im Halbdunkel fest, dass sie komplett mit Fresken bedeckt ist. Die gesamte Anlage, darunter auch das Dach der Hauptkirche wird gerade renoviert, und durch das Loch in der Decke kommen die Tauben geflogen, so dass es in der Kirche gurrt und der Hall von Flügelschlagen dort eine eigenartige Stimmung erzeugt.
Später besuchen uns einige der Bauarbeiter aus dem Dorf, die den Maggi bewundern und uns erklären, dass sie mit Leidenschaft die deutsche Fußball-Bundesliga verfolgen. Der Vorarbeiter hört gar nicht mehr auf, die NAmen von deutschen Fußballern aufzuzählen (aktuelle und ehemalige Helden werden hier gleichberechtigt genannt: Sweinstiga, Bäckebur, Madäs, Müllö). Schließlich werden die 6 Männer inklusive ihrer Schaufeln und Hacken von der Frau des Vorarbeiters und dessen 5jährigen Enkel in einem Kombi abgeholt. Richtig gelesen, alle 6 Männer, ihr Werkzeug, die Frau und der Enkelsohn verschwinden in einem Auto.
Am nächsten Tag nehmen wir uns ausführlich Zeit um das Kloster zu besichtigen. Das Gelände ist in sich abgeschlossen und besteht neben der Hauptkirche aus einem Glockenturm einer kleineren Andachtskapelle und verschiedenen Nebengebäuden. Die Mönche, die im Kloster leben, scheinen in die Bauarbeiten einbezogen zu sein, jedenfalls tragen auch sie Eimer und Hacken durch die Gegend, vermeiden aber die direkte Kommunikation mit den 4 bis 5 neugierigenTouristen. Aus einem der vorgelagerten Gebäude, einer Art Versammlungsraum, vielleicht Speisesaal oder Gästehaus dringt lautes Stimmengewirr. Ich stecke vorsichtig meine Nase durch die Tür uns sehe in den großen Saal hinein, wo ein etwa 40jähriger akademisch aussehender Mann mit großen Gesten, laut und nachdrücklich etwas erklärt. Unterbrochen wird er immer wieder von einer der ca 20 auf einer Bank aufgereiht sitzenden wild gestikulierenden und diskutierenden Frauen, die seinem Vortrag wohl eigentlich nur lauschen sollte, ihm aber stetig ins Wort fällt. An der Wand befinden sich die Pläne zur Restaurierung des Geländes und der Kirche, das sieht sehr schön aus.
In der Hauptkirche bestaunen wir nun bei Tag noch einmal die Fresken, die wie immer Szenen aus dem Leben Jesu und eine Ansammlung der hier verehrten Heiligen und ehemaligen Äbte und Gelehrten darstellen. Im vorderen Teil der Kirche vor der Apsis sind 3 gerahmte Ölbilder auf Pulten ausgestellt, die mir unbekannte Heilige darstellen. Die Ölgemälde sind Teils von Metallornamenten überdeckt, die den Schleier oder das Gewand der Heiligen darstellen sollen und am jeweils passenden Ort der Malerei befinden sich hinter runden Glasfensterchen Reliquien. Ein kleines Handknöchelchen hier, ein Stück Rippe dort.
Alle NAse lang betritt eine kleine Familie die Kirche. Immer bietet sich ein ähnliches Bild. Die Frau kauft kleine gelbe Kerzchen, steckt sie in die bereit gestellten mit Sand gefüllten Behälter und küsst die Reliquien, bleibt sodann für einen Moment andächtig stehen und wiederholt die Prozedur beim nächsten Bild. Am Ende des Rituals verlässt sie die Kirche mit dem Gesicht zum Altar. Der Mann steht gelangweilt im Kirchenraum herum und schaut sich die Bilder an den Wänden an, bis sie endlich fertig ist. Sodann verlassen beide mit Kind(ern) diese Kirche wieder und wiederholen das Ritual in der nächsten Kirche. Alles in allem benötigt eine Frau ca. 5 Minuten pro Reliquie. Wenn sie nicht mehr weiß, was sie mit den übrigen Kerzen anfangen soll, überlässt sie diese den Kindern, die sie an eher ungewöhnlichen Orten hinterlassen. Überall in Georgien und Armenien wo es auch nur eine Ahnung von Kirchenruine oder Höhle gibt findet man die Reste dieser ockergelben Kerzchen.