Nun gibt es also kein drumherum mehr. Wir fahren nach Tbilisi. Gerne hätten wir dort zuallererst ein Schwimmbad aufgesucht. Wir haben uns in einem Stadtteil etwas ausserhalb vom Zentrum eines ausgesucht, wo die Bebauung auf der Karte nicht so dicht aussieht.
Böser Fehler. Dieser Plan kostet uns viel Zeit und Nerven. Wir finden mit der Touristenkarte einfach nicht in diesen Stadtteil hinein, weil sie ausserhalb des Zentrums zu ungenau ist und, wie ich später bemerke, auch nicht maßstäblich. Ganze sraßenzüge fehlen. Nach langem Suchen und vielfachem Durchfahren der LKW-Verbotszone, einem Tete a Tete mit zwei sehr freundlichen Verkehrspolizisten auf einer Verkehrsinsel und der wiederkehrenden Verzweiflung ob des dreistöckigen Kreisverkehrs am Verkehrsknotenpunkt von Tbilisi basteln wir uns unter den staunenden Blicken der Anwohner durch ein eng bebautes slumähnliches Gebiet, aus dem immer wieder turmhohe Plattenbauten emporragen. Mehrfach passt keine Handbreit mehr zwischen den Maggi, die parkenden Autos und den Gegenverkehr. Als wir am Ende der Straße in einer Sackgasse landen, und dort, wo eigentlich das Schwimmbad sein sollte, nur ein weiterer herabgewitschafteter Plattenbau emporragt, geben wir das Vorhaben auf und fahren stattdessen ins Zentrum.
Wir parken den Maggi auf einem kleinen Parkplatz, eher einer Parkinsel zwischen der einen Hauptverkehrsstrasse, der Auffahrt zu einer der Hauptbrücken und der anderen Hauptverkehrsstrasse vor einem Brückenclub, der ein wenig an das Golden Gate in Berlin erinnert. Hier werden wir dann wider Erwarten auch drei Tage lang bleiben und so gut schlafen wie lange nicht. Wir sind eben doch Stadtkinder.
Es ist später Nachmittag und wir laufen los, um die Stadt zu erkunden, die mir noch als Tiflis bekannt war, was sich als russische Vereinfachung des schwer auszusprechenden georgischen Tbilisi herausstellt. Die Innenstadt wird dominiert durch den Fluß Mtkwari, an dessen Ufern die Hauptstraßen der Stadt und damit des Landes vorbei führen. Unmittelbar am Fluss sind auch eine neue Stadthalle und eine neue Stadtverwaltung entstanden, die das Stadtbild gemeinsam mit den umgebenden Bergketten und einer neuen an den historischen Baustil der georgischen Kirchen erinnernden Kathedrale dominieren. Leider war der Stadthallen-Architekt Größenwahnwahnsinnig und so sind die neuen Gebäude überdimensioniert und leider nicht sehr sensibel in den historischen Teil der Stadt oder was davon noch übrig ist, eingegliedert.
Das ist kein Einzelphänomen, es zieht sich durch beinahe alle armenischen und georgischen Städte hindurch. Die traditionelle und sehr hübsche zweistöckige Holzbauweise der Stadthäuser ist hier und dort noch zu finden. Viele der Häuser sind aber marode und ihre Eigentümer wollen oder können sie nicht instand setzen. In diesen Gegenden finden wir häufig verfallende Schuppen, löchrige Blechdächer und weggerostete Balkone und sehr viel Müll vor. Die Menschen sind sehr arm, ihre Augen blicken leer, sie glauben nicht mehr daran, dass sich ihre Situation verbessern wird.
Irgendwo scheint der georgische Staat in den letzten Jahren Kredit erhalten zu haben. Denn in vielen Städten sind ganze Straßenzüge frisch renoviert worden, leider viel zu steril und oft nur zur Straßenseite hin. Man (wer eigentlich?) zielt damit offenbar auf den internationalen Tourismus, der sich aber noch nicht eingestellt hat. Vielleicht sind wir auch einfach zur falschen Jahreszeit hier. Jedenfalls präsentieren sich uns diese Viertel menschenleer, alle Läden sind verriegelt und die schnieken Vorderhäuser unbewohnt. So auch hier in Tiflis im alten Bäderviertel.
Auch typisch sind die nagelneuen Verwaltungsgebäude und Hotels der internationalen Ketten in futuristischem Baustil, die den Charme der Städte vollends zerstören. Und dann kommt meist eine prunkvolle neue Kirche hinzu, die vom Staat gebaut wurde. Das alles wirkt im besten Falle hilflos. Wir versuchen uns zu erklären, wie dieses eigenartige Nebeneinander zustande kommt.
Meine Vermutung ist, dass der Sozialismus/Kommunismus im Versuch, Gleichheit herzustellen immer auch versuchte, den Menschen eine neue Kultur aufzuzwingen und deshalb die Traditionen und kulturelle Identität nachhaltig zerstört hat. Übrig geblieben sind nur Kirchenruinen und die Religion, die allerdings von vielen Georgiern eher folkloristisch betrieben wird. Da werden Marienstatuen geküsst, gelbe Kerzchen im 30erPack gekauft und an den Zahlreichen Ikonen aufgestellt und natürlich im traditionellen Stil und sehr jung geheiratet. Aber ob dahinter mehr als ein hohles Ritual steckt, erschließt sich uns nicht. Wir wohnen verschiedenen Hochzeiten bei, aber erleben dabei wenig Andacht oder Ergriffenheit. Selbst der Klerus ist eher gelangweilt als andächtig. Stattdessen Erstarrung im Ritual und viel Unsicherheit bei den jungen Menschen, oft noch unter 20, die hier gerade ihre Ehe besiegeln.
Ohne Bezug zur Vergangenheit lässt sich scheinbar in der Gegenwart keine Identität herstellen, nichts reflektieren, nichts weiterentwickeln. Die Menschen haben nichts, worauf sie sich berufen können, aller kultureller Halt ist ihnen genommen und durch das verhasste kommunistische System ersetzt worden. Immer wieder treffen wir Menschen, die hasserfüllt von Russland sprechen, davon, was ihnen angetan wurde und was alles zerstört wurde. An die Leerstelle der Kultur, die der Sozialismus gerissen hat, ist nun der Kapitalismus in seiner hässlichsten Form getreten. Wer kann, leistet sich eindeutige international lesbare Statussymbole: Rolex, Mercedes, iPhone und -leider – junge im Stil internationaler Popstars aufgedonnerte Frauen, die gelangweilt in den schwarzglänzenden SUVs auf der Suche nach Ablenkung durch die Straßen fahren. Der Wodka in den Supermärkten ist billiger als 2 Pakete Butter und wird zu jeder Gelegenheit getrunken, um den faden Alltag vergessen zu machen.
Wir hoffen sehr, dass eine junge Generation heranwachsen wird, die mit neuem Mut daran geht, auszugraben, was an kultureller Identität in diesem hervorragenden an Geschichte überreichen Land steckt und das Leid, welches Land und Menschen erlebten, in Worte, Bilder und Klänge fasst. Denn ausserhalb der Städte ist Georgien ein wunderschönes, von seiner aussergewöhnlichen Natur und jahrtausendealten Siedlungsgeschichte dominiertes Land. Immer wieder blitzt auch die tiefe Verbundenheit der Menschen mit dieser einzigartigen Kulisse auf. Aber mehr als ein Glimmen nehmen wir derzeit nicht wahr. Zu groß ist die Armut und die Verzweiflung, der tägliche Kampf um Gesundheit, um Wärme, um etwas zu Essen.
Wir besuchen ein privat betriebenes Hamam im ehemals muslimischen Bäderviertel, wo wir uns ein kleines eigenes Separé mieten, um zusammen baden zu können. Ein eigenartiges Erlebnis, das gut zum gerade beschriebenen passt. Die Bäder von Tiflis sind berühmt und werden im Reiseführer sehr empfohlen. Es gibt heiße Quellen in der Stadt, das Wasser enthält viele Mineralien und schon immer haben die Menschen hier und auch ihre Gäste in diesem Wasser gebadet und auf Heilung ihrer Zipperlein gehofft. Wir werden also durch eine Tür in das private BAd mit der Nummer 12 geführt und dort alleine gelassen.
Wir befinden uns in einem Vorraum mit Spiegel und einem klapprigen Holzstuhl, in dem wir unsere Kleidung lassen. Durch eine weitere Tür geht es in den Baderaum. Der ist etwa 25qm groß und trägt eine weiß gekalkte Kuppel mit der für Hamam typischen Entlüftungs- und Lichtkuppel. An der Stirnseite des Raumes befindet sich eine große rechteckige Badewanne aus Stein auf einem Podest aus Stein. Zur linken laufen zwei schmucklose Wasserrohre an der Wand entlang, die in zwei kleinen Schläuchen enden, die sich als Duschen entpuppen. In der Mitte des Raumes befindet sich ein Ablauf, neben dem ein weiterer kleiner Stein steht, vermutlich zum Sitzen. Dann gibt es noch eine Liege und das wars. Das Wasser in der Badenwanne dampft und riecht nach Schwefel, eigentlich ist der ganze Raum voller Wasserdampf. Insgesamt ein sehr eigenartiger Mischmasch aus sozialistischer BAdeanstalt und Hamam. WWir lassen uns glücklich in die BAdewanne fallen, genießen das warme Wasser und schrubben uns gründlich. DAs tut gut! Später versuchen wir, etwas gutes zu Essen zu finden, scheitern aber leider. Wir essen mittelmäßige Khinkali und trinken Bier dazu und sind beide ein wenig enttäuscht vom Ausgang des Abends.
Wir stromern zwei weitere Tage durch Tbilisi, aber ohne weitere erwähnenswerte Erkenntnisse oder Sehenswürdigkeiten. Bleibt zu sagen, dass es in der Haupttouristenmeile in der Altstadt sehr leckeres aber überteuertes Eis gibt und ein freundliches Internetcafe. Am dritten Tag sind wir froh, die Stadt wieder verlassen zu können – ohne ein Konzert gesehen und ohne ein Museum besucht zu haben. Es gab einfach nichts, was unser Interesse weckte, ausser vielleicht der Ausstellung zu Georgien in der russischen Zeit, deren Öffnungszeiten allerdings so ungünstig lagen, dass wir uns gegen einen Besuch entschlossen haben.