29.3. – 08.4.2019
Seit ein paar Tagen hängen wir in Bissau fest, weil der Hund immer noch kränkelt. Vom Veterinär am Varela beach sind wir an den Amtsarzt des Guinea Bissauischen Landwirtschaftsministeriums vermittelt worden. Er spricht Französisch, so dass wir uns verständigen können. Und siehe da, er hat in Moskau studiert. 4 Tage lang kommen wir jeden Tag und Thio bekommt Spritzen. Mittlerweile haben wir ein ganzes Monatsreisebudget in die Hundegsundheit investiert. Wenn er dafür wenigstens gesund würde…
Wir sitzen im Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Guinea Bissau, im ersten Stock in einem kleinen Amtszimmer, um den TIP für den Igl zu verlängern. Robert hat sich angewöhnt, zu solchen Anlässen lange Hose, schickes Hemd und teure Sonnenbrille zu tragen, so auch heute. In dem Zimmer 4 Tische, 2 Computer, ein Drucker, zwei durch Milchglastüren abgetrennte Nebenräume über deren Türen steht Reparticao de Patrimonio und Reparticao de administracao e financas, sowie 5 Personen und ein Polizist der Guardia Nacional direkt hinter der Eingangstür. Jedes Mal wenn jemand zur Tür hereinkommt, stoppt die geöffnete Tür direkt vor seinem Körper. Sieht unangenehm aus. Weiter gibt es die Tür zum Zimmer des Direktors.
Wir warten seit ungefähr 30 Minuten. Niemand kann uns sagen, ob wir hier wirklich richtig sind und was als nächstes wohl passieren wird. Einer der Beamten spielt Karten auf dem Computer. Vor mir liegt ein Tischkalender für 2019 mit einer Werbung für Jumbo Poulet Hühnersuppe. Die ganze Zeit betreten Menschen den Raum, tun irgendetwas und verlassen ihn dann wieder. Auf dem Nebentisch liegen mehrere Bücher mit dickem abgegriffenem Einband, in die ab und an etwas eingetragen wird. Manche Besucher bringen dicke Bündel Papier mit, mit diversen Stempeln und Unterschriften. Wir verstehen nicht genau, wozu. Es ist auch nicht ersichtlich, wer zu den Beamten gehört, wer zufällig im Raum steht und wer wie wir wartet. An der Wand eine Klimaanlage, wenigstens ist es schön kühl. Das Ambiente erinnert an ein osteuropäisches Krankenhaus der 60er Jahre. Ab und an steht jemand auf und erzählt den anderen ausführlich eine Geschichte. Ab und an betritt jemand den Raum und wird mit Handshake und Johlen begrüßt. Zwischendurch wird Tee gekocht, Mittagslunch ausgetauscht und weitere Menschen auf die verschiedenen freien Plastikstühle im Raum verteilt. Alle müssen sitzen, stehen ist so ungemütlich.
Nach ungefähr 60 Minuten geht die Tür zum Direktorenzimmer auf und wir werden hineingerufen. Im Raum ein massiver Holztisch, dahinter ein sympatisch aussehender älterer Herr am Computer. Davor die letzte Klientin, die den Raum auch nicht verlässt während wir unser Anliegen vorbringen. Hinter dem Schreibtisch zwei abegnutzte Aktenregale, darin circa 50 Aktenordner, rot und grün, unbeschriftet, ziemlich leger ins Regal geworfen. Oben am Regal 7 oder 8 Fahnen aus teurem doppellagigem Damast, darunter auch die von Guinea Bissau. Der Vorgang selber dauert 2 Minuten. Wir stammeln bitte für 4 Wochen. Der Direktor sagt, oh das ist molto complicado. Sodan zaubert er flugs das richtige Dokument auf seinen Bildschirm klappert zweimal mit der Tastatur und druckt die vierwöchige Verlängerung aus. Stempel, Unterschrift, antackern ans alte Passavant, Gebühr bezahlen, die wie üblich etwas höher als erwartet ausfällt, und raus. Strassenmautverlängerung? Davon weiß er nichts. Will er auch nicht. Vorgang beendet. Dauer 60 Minuten.
In Bissau zu sein bringt einige Dinge mit sich: wir sprechen kein Portugiesisch und können uns nur schwer verständigen. Man kann nicht frei stehen, deshalb sind wir mit dem Igl etwas ausserhalb auf dem Gelände einer Pension untergekommen. Es ist zwischen 13 und 17 Uhr unerträglich heiß. Den Hund alleine lassen kommt nicht in Frage, der muss immer mit. Bei 40 Grad kann er aber weder im Auto bleiben noch mit auf den Markt oder in die Ämter kommen.
Wie organisiert man sich bei solchen Rahmenbedingungen?
Drei Tage lang verpeilen wir früher aufzustehen und der arme Hund und wir geraten in die Mittagshitze und den Stau. Heute am vierten Tag haben wir es besser gemacht. Sind um 7 aufgestanden, um die Verlängerung unserer Straßenmaut zu bekommen, nach der bisher jede der unzähligen Polizeikontrollen gefragt hat. Abends schon sind wir durch die dann leeren kühlen Straßen gefahren auf der suche nach dem richtigen Amt. Guinea Bissau hat eine Internetpräsenz, aber dort stehen quasi keine Informationen und das Amt ist auf keiner Karte verzeichnet. Also halten wir nachts an einem anderen Amt, dem für Immigration und fragen nach. Wie immer sind alle wahnsinnig freundlich und hilfsbereit, so hört sich der Sekretär des Amtes mein Anliegen an und bringt mich dann in ein großes klimagekühltes Amtszimmer – direkt zum Direktor. Auch er ist wahnsinnig freundlich und hilfsbereit und sagt, dass einer seiner Mitarbeiter am nächsten Tag mit mir zum Amt fahren würde, ich solle morgens wiederkommen. Er spricht, wie eigentlich alle gebildeten Guinea- Bissauer Französisch, so dass wir uns gut verständigen können.
Am nächsten Morgen um 9 sind wir wieder am Immigrationsamt. Nur leider sind weder der freundliche Sekretär noch der Direktor da. So eine Pleite. Ich radebreche mit dem heute anwesenden Sekretär, er erklärt, der Direktor komme später rein und stellt drei Plastikstühle mitten auf die Straße, einen für sich, einen für mich und einen für seinen Kollegen. Der mich mit Handschlag begrüßt und – auf Französisch anspricht. Er sagt, Du warst doch gestern Abend schon da und hast im Halteverbot vor diesem Ministerium geparkt. Ich entschuldige mich nochmal und bejahe. Ich erkläre ihm, warum wir wieder da sind und dass ich auf den Direktor warte, weil ich das Amt für die Straßenmaut auche. Er sagt, ist doch alles kein Problem. Einer von uns beiden fährt mit Dir und zeigt Dir das Amt. Ich freue mich und bedanke mich schonmal.
In den kommenden 20 Minuten passiert was passiert, wenn jemand in Afrika beschließt, dass etwas passiert. Nämlich nicht so viel. Ich sitze auf meinem Plastikstuhl und warte ergeben. Dann verstehe ich, dass gar nicht nichts passiert, sondern dass die beiden Männer um mich herum mit höchster Gelassenheit die Abwesenheit des einen organisieren. Sie fragen 10 Leute, ob sie wissen, wo das Amt ist. Sie versichern sich gegenseitig, wo man abbiegen muss. Sie treffen Vorkehrungen, falls Leute aufs Amt kommen. Sie erledigen einzwei kleinere Aufgaben. Schliesslich rufen sie den Direktor an und geben Bescheid, dass einer von ihnen, der Jüngere, mit uns fährt. Der Direktor ordnet an, dass der Ältere mitfahren soll. Das finde ich gut, denn den Älteren, er heißt Moussa, verstehe ich. Schliesslich ist alles vorbereitet, Moussa springt zu Robert ins Auto, sichtlich stolz und vergnügt darpber, dass er mitfahren kann.
Wir fahren etwa 5 km, immer der Hauptstraße folgend, dann taucht rechts ein Schild auf Rodoviaria, das ersehnte Amt. Wir biegen auf einen Sandplatz ab, auf dem wie immer zwei bis drei Schiffscontainer stehen, aus denen heraus alles mögliche verkauft wird. Hier soll das Straßenmautamt sein? Auch Moussa ist irritiert, findet das Gebäude nicht. Wir steigen aus und fragen uns durch. Hinter dem Sandplatz biegen wir links ab, laufen eine Straße herunter, biegen dann in eine von einem Zaun umgeben Häuseranlage ein, noch im Bau, sieht komplett ungenutzt aus. Treffen auf einen Soldaten, der gerade Pause macht und The a la menthe bereitet, fragen auch den und schließlich ganz am Ende der Anlage in einem unscheinbaren Haus ohne weitere Ausschilderung, da ist das Amt. Sagt Moussa. Hat aber Samstags zu. Sagt Moussa. Da müsst Ihr wohl am Montag nochmal herkommen. Seufz. Aber trotzdem 1000Dank! Ich mache drei Fotos, vom Haus, vom Schild, und markiere den Ort auf der Karte. Am Montag wird es klappen. Ganz bestimmt. Wir bringen Moussa zurück zum Amt und bedanken uns überschwenglich. Kein Problem, sagt Moussa. Und dann fahren wir weiter.
Das ist eine von unzähligen kleinen Geschichten, die die Denkweise und Hilfsbereitschaft der Afrikaner dokumentiert. Ich frage mich trotzdem, warum der Direktor nicht einfach auf meiner Karte auf das richtige Haus zeigen konnte….
Den Vogel abgeschossen hat – bislang – der Chef des Zolls in Koundara, Guinea. Kurz vor Schließung der Grenze zwischen Guinea Bissau und Guinea wurden wir noch abgefertigt. Die Grenze glich einem rumänischen Bauernhof im 18. Jahrhundert. Ausgewaschene Schlammstraße, strohgedeckte Hütten, dazwischen Hühner, Kühe, Esel, dazu Frauen, die in zerbeulten Schüsseln Reis auf offenem Feuer kochen und Beamte in Badelatschen. Die Chefin des Zolls war leider schon am Umkleiden, so dass wir den Passavant für den Igl beim Zoll in der nächsten Stadt besorgen müssen. Also auf nach Koundara, 15km ausgewaschenes Flußbett und 15km rote Piste später erreichen wir Koundara, das durch seine wichtige strategische Lage als erste Stadt hinter der Grenze sowohl von Senegal als auch von Guinea Bissau relativ wohlhabend ist.
Der Zoll liegt laut iOverlander im Norden der Stadt. Wir machen uns auf den Weg. An der bezeichneten Stelle befindet sich hinter hohen Mauern ein abgewirtschafteter Hof. Wir können kaum glauben, dass hier der Zoll sein soll, fahren aber dennoch durch das offene Tor auf den Hof, um eine strohgedeckte Hütte herum und siehe da, auf dem Hof unterm Mangobaum lungern etwa 10 Beamte in verschiedenen Uniformen herum. Wir fragen nach dem Passavant und werden alsbald ins Büro des Zollchefs gebeten. Einmal quer über den Hof, an den Hühnern und Ziegen vorbei, hinein in einen Warteraum bestückt mit dunkelbraunen Kunstledersesseln bei smaragdgrüner Wandbemalung. Auf etwa 2,50Höhe an jeder Wand ein Foto, das den Zollchef mit zwei französischen Gendarmen zeigt, die scheinbar Uniformen aus der Kolonialzeit tragen. Während die Franzosen auf jedem Foto etwas anders blicken, grinst der Zollchef wie ein Model in immer gleicher Pose. Ein eitler Mann. Robert verschwindet im Auto, um seine Amtsterminkleidung anzuziehen. Lange Hosen, Hemd, teure Sonnenbrille.
Ich bereite mich auf meine Rolle als devot schauende übersetzende Ehefrau vor. Wenn nur der Hund, der vor dem Büro auf der Terasseangeleint ist, nicht immerfrech durchs Fenster schauen würde und die frechen Ziegen ankläffen würde. Eva setzt sich zu dem Hund auf die Terasse und hält einen kurzen Schwatz mit einem älteren Mann im weißen Anzug, der schließlich im anderen Büro des Zollhauses hinter einer Tür verschwindet auf der Chef des Douanes steht.
Wir warten eine ganze Weile bis wir vorgelassen werden. Schließlich werden wir in einem kleinen Raum gerufen, der wie dieKulisse eines Theaterstücks von Shakespeare wirkt. Die kommenden 45 Minuten verbringen wir damit, uns nicht in die Augen zu sehen, weil das unweigerlich zu Lachkrämpfen führen würde. Also. Ein Raum, ca. 10qm groß, die Wände mit dunkelgrünem Stoff behangen. Zwei Fenster mit Gittern, verhangen mit gemusterten dunkelvioletten Brokatvorhängen. Ein großer Holzschreibtisch mit schwarzer Linoleumauflage im Zentrum. Zur Linken ein winziger Schreibtisch, daran ein junger Mann, der säuberlich mit Kugelschreiber Notizen in ein riesiges Buch von 80×80 cm überträgt. Er sitzt mit dem Rücken zum Amtsträger. Vor dem Schreibtisch des Chefs zwei alte Holzstühle. Rechts an der Wand ein großes windschiefes Regal. Darin Aktenberge wild übereinander gestapelt, ein Foto vom Papst, mehrere Kreuze. Links an der Wand ein großes Poster auf dem sinngemäß steht: 1. Die Regeln des Zolls gelten in jeder Zollstation. 2.Die Regeln des Zolls sind überall dieselben. 3.Die Regeln des Zolls werden überall gleich angewandt.
Der Amtsträger sitzt hinter einem Berg von Akten in Verlaufsordnern. Er ist etwa 50 Jahre alt, schmal gebaut und nicht größer als 1,70m.Er trägt eine Brille mit Brillenband, ein großes goldenes Kreuz an einer dicken goldenen Kette um den Hals auf der nackten Brust und ist in einen blau-gestreiften Schlafanzug gehüllt, der an die Daltonserinnert und seine Autorität nachhaltig untergräbt. Er legt seine ganze Wichtigkeit in seine Stimme und beginnt sein Interview mit uns. Wo wir herkommen, wo wir hinwollen, warum wir hier sind. Welche Route wir fahren, wie lange wir bleiben möchten. Sodann zieht er ein leeres Zollformular heraus, legt sich sorgfältig einen Kugelschreiber mit roter und einen mit blauer Mine zurecht und beginnt, aus den Papieren die Daten des Wagens zu übernehmen. Mit ernstem Blick hebt er immer wieder den Kopf, um mit strenger Stimme nachzufragen, welche Nummer er nun in welches Feld schreiben kann. Was heißt schreiben, er malt die Buchstaben aufs Papier! Das alles ist so anstrengend, dass er nach jedem Wort den Stift niederlegen muss, um den angespannten Schultergürtel durch Schütteln und Wedeln mit den Armen zu entlasten. Robert sitzt ganz still auf seinem Stuhl und versucht seine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle zu halten. Ich sitze ebenfalls ganz ruhig, schwitze in der stickigen Büroluft leise vor mich hin und konzentriere mich ganz auf meinen Atem, um nicht loszulachen. Hätte Robert auch nur geraschelt neben mir, es wäre um mich geschehen gewesen. Unser Aufenthalt in Guinea hätte sich dadurch drastisch verkürzen können.
Nachdem die ersten Zeilen noch in blauer Farbe verfasst werden konnten, kommt nun die rote Mine zum Einsatz. So vergehen die Minuten, unterbrochen nur vom gelegentlichen Auftauchen des Hundekopfes im Fenster. Aufblicken, Fragen, Malen, Ausschütteln, Farbe wechseln, bis das Werk nach 30Minuten vollbracht ist und mit Unterschrift und Dienstsiegel zum offiziellen Dokument wird. Dann sind wir fertig. Unter den Augen der 10 Beamten unterm Mangobaum, deren Sitz- und Liegeposition sich seit unserer Ankunft nur unwesentlich verändert hat starten wir den Wagen wieder, nicht ohne noch eine Runde übers Gelände zu drehen. Direkt neben den lagernden Beamten von der Mauer eingefriedet geht der Hof weiter und, was sollen wir sagen, eine solche stinkende Müllhalde haben wir wirklich lange nicht gesehen. Welcome to Guinea.
Super geschrieben… und das ist wirklich keine Fiktion? Ich drück euch die Daumen dass ihr immer einen Weg findet durch diese Dschungel zu kommen.
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Udo, das ist Realsatire. Jeden Tag wieder.
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