13. Juli – 4. August 2019
Auf unserem täglichen Weg zur Werkstatt in Abidjan haben wir meistens kleine Umwege eingebaut durch ruhigere Straßen mit ein wenig grün am Rand, damit Thio, der zwar das Apartment heiß und innig liebt, aber von dem chaotischen Verkehr und den vollen Straßen überfordert ist, wenigstens zweimal am Tag einen ordentlichen Auslauf bekommt.
Kurz bevor wir den Igl glücklicherweise wieder aus der Werkstatt abholen können erspäht Robert an einer dieser Straßenecken einen roten Bus. Das sind Reisende ruft er. Ach nein, sage ich, das ist ein afrikanischer Pickup. Nein, das sind Reisende. Ok, lass uns nachschauen. Seit wir Marokko verlassen haben, sind wir nur noch sporadisch anderen Europäern begegnet. Deshalb ist es, auch wenn wir seit fast zwei Monaten in ständiger Begleitung anderer Reisender waren, eigentlich immer ein Fest, auf neue Gesichter aus der Heimat zu treffen und von ihren Geschichten, Erlebnissen und Erkenntnissen zu hören.
Als wir näher kommen sehe ich es dann auch. Ein roter Synchro mit Freiburger Kennzeichen. Stellt sich heraus, das sind André und Marilena, die ein kleines Problem mit dem Motoröldruck haben, das sie hier an der Ecke beheben möchten. Eigentlich wollten sie gar nicht bis Elfenbeinküste fahren, sondern aus Dakar nach Südamerika verschiffen. Das ging aber nicht, darum sind sie eben weitergefahren und schauen mal, wo sie am Ende landen werden. Er hat in Marokko mit dem Surfen begonnen und weiter westlich am Strand einen libanesischen Surfer kennengelernt. Bei dem sind sie nun untergekommen, glücklicherweise, denn Abidjan ist ein teures Pflaster und es sieht so aus, als müssten die beiden ein Ersatzteil bestellen. Das kann länger dauern. Die Libanesen beherrschen auch hier den Handel. Viele sind in zweiter oder dritter Generation hier, dennoch sind sie schon aufgrund ihrer Hautfarbe im Stadtbild sehr auffällig. Viele leben in ihrer eigenen Community und haben wenig Kontakt zu den anderen Abidjanern.
Westlich von Abidjan, kurz vor der Grenze zu Ghana gibt es zwei prominente Badeorte, Grand Bassam und Assinie, dort machen die Abidjaner Urlaub. Wer reich genug ist, hat sich im östlicher gelegenen Assinie ein Wochenendhaus direkt am Strand zugelegt. Wer etwas weniger Geld hat, fährt nur bis Grand Bassam. So kommt es, dass besonders das beschauliche Assinie unter der Woche quasi ausgestorben ist. Nur das – schwarze – Hauspersonal ist da und bewacht die teils prächtigen Villen. Gegen Freitag Abend füllt sich das Dörfchen dann langsam. Ein schwarzer SUV nach dem anderen schiebt sich die kleine rote Sandpiste zwischen den Palmen entlang und am Samstag morgen sind plötzlich alle Fenster und Türen geöffnet und der Strand ist bevölkert – 9 von 10 Personen haben jetzt weiße Hautfarbe, die meisten kommen aus Abidjan. Es sind eben genau die libanesischen Familien, die dort als Händler zu Wohlstand gekommen sind, die am Wochenende hier, wieder beinahe unter sich, Entspannung suchen. Ein eigenartiges Gefühl, mitten in Westafrika zu sein und doch in einer Art weißen Kolonie. Zwar nicht „gated“, aber eben doch extrem exklusiv. Ja, und genau so ein Haus am Strand besitzt auch die Familie, in der Andre und Marilena untergekommen sind. Was für ein Glück die beiden haben, an diesem sagenhaften Strand auf diesem Grundstück stehen zu können und die einfache, aber gerade deshalb wunderbare Infrastruktur nutzen zu können. Aussendusche, Herd, Holzbank unter Palme, die wunderbaren Schatten spendet. Toll.
Ganz so luxuriös haben wir es nicht getroffen, aber wir können uns auch nicht beklagen. Der Igl steht im Hof eines Hotels. Über einen kleinen Durchgang können wir den Strand erreichen und Dusche und Toilette mitbenutzen. Im Gegenzug haben wir zugesagt, Abends im Restaurant zu essen. Noch nicht ein Mal auf der ganzen Reise haben wir in einem richtigen Restaurant gegessen. Und als wir sehen, wie gepflegt und angenehm der große luftige reetgedeckte Speiseraum ist, machen uns die für Afrika saftigen Preise auch nicht mehr viel aus. Eine Woche lang lassen wir uns jeden Abend bekochen, Spaghetti mit Meeresfrüchten, gebratener Sepia, Rindfleischspieße mit Knoblauchöl undsoweiter. Es ist Regenzeit und daher Nebensaison. Wir sind an vier von sieben Tagen die einzigen Gäste, was sich in der riesigen Hütte ein wenig eigenartig anfühlt. Aber dennoch fühlen wir uns so wohl an dem schönen Strand, dass wir statt der geplanten vier dann insgesamt sieben Tage bleiben – und damit das Zeitfenster, das wir haben um die Elfenbeinküste zu durchqueren und wieder in Guinea einzureisen ganz schön schmal werden lassen.
Denn Assinie ist der Wendepunkt unserer Reise. Wir haben ausgiebig darüber diskutiert ob und auf welchem Weg wir weiter Richtung Süden fahren wollen. Geplant hatten wir ursprünglich, noch Ghana, Togo, Burkina Faso und Benin, aber seit unserer Abreise aus Europa haben sich einige Dinge verändert. Ghana hat ein neues Gesetz erlassen, dass es quasi unmöglich macht, den Igl ohne Carnet de Passage ins Land zu bringen. In einem Nationalpark im Norden von Benin wurde Anfang des Jahres ein französisches Ehepaar von Islamisten entführt, sowie ihr Führer ermordet. Burkina Faso ist aufgrund des Erstarkens der Islamisten im Moment tatsächlich nur mit größter Vorsicht zu bereisen. Und somit ist uns der Weg nach Togo und Benin quasi versperrt. Wir denken eine Weile lang darüber nach, den Igl nach Angola oder Namibia verschiffen zu lassen und so die wunderschönen südafrikanischen Länder besuchen zu können. Nehmen davon aber Abstand, weil wir selber und Hund Thio nicht mit dem Schiff mitfahren könnten, sondern fliegen müssten. Wir möchten uns nicht ausmalen, wie Thio in einen Käfig gesperrt als Gepäckstück ins Flugzeug geladen wird. Die kurze Strecke Abidjan bis Namibia würde vielleicht noch gehen. Aber was, wenn wir den Igl von Südafrika aus wieder verschiffen und selber ein Flugzeug nehmen müssen? Einen so langen Flug möchten wir Thio nicht zumuten und ehrlich gesagt geht es uns ja ums Fahren über Land mit dem Wagen, nicht darum, möglichst viele Kilometer hinter uns zu bringen, um einmal um Afrika herumzukacheln.
Die endgültige Entscheidung ist zwar schon in Abidjan gefallen, als wir das Visum für Guinea besorgt haben, aber in Grand Bassam bestätigt sich für uns nochmal, dass die Entscheidung richtig war. Marilena und Andre erzählen eines Abends noch in Abidjan, dass sie die beiden Belgier mit dem Iveco, die wir in Kindia trafen, auch getroffen haben und einige Zeit gemeinsam gefahren sind. Die beiden stehen seit 3 Wochen im Hof eines Anwesens in Grand Bassam und helfen dort Chloe, einer Afrikaspezialistin aus Irland, aus der Villa ein Gästehaus für Overlander zu machen. Neben Zimmern soll es dort auch Platz für Zelte und drei oder vier Overlander geben. Da wir uns schon Gedanken darüber gemacht hatten, wo wir im dicht besiedelten Grand Bassam mit dem Igl unterkommen können, kommt uns diese Information gerade richtig. Wir nehmen Kontakt mit Chloe auf, die uns prompt einlädt und folgen Andre und Marilena nach Grand Bassam, nachdem die Arbeiten am Igl endlich abgeschlossen sind.
Dort angekommen, richten wir uns nach den langen Wochen im Apartment endlich wieder im Igl ein und starten einen erneuten, diesmal sehr ernsthaften und schließlich erfolgreichen Versuch, unseren ungebetenen Gast, die Maus, die seit etwa 5 Wochen im Igl lebt, herauszuwerfen. Nachdem wir alles was Mäuse anbeißen könnten luftdicht in die Alukisten verpackt haben, haben wir erst zwei Mausefallen mit Käse, Speck und Schokolade aufgestellt. Nachdem das erfolglos bliebt, haben wir eine Eimerfalle gebastelt, ebenfalls ohne Erfolg. In Grand Bassam haben wir ihr dann schließlich den Garaus gemacht. Nachdem wir den ganzen Wagen ausgeräumt und in der letzten Ecke ihr Nest gefunden und geräumt haben, das sie kuschelig mit Fetzen von Stoff und Toilettenpapier ausgepolstert hatte, ist sie vor Roberts Nase hinter der Sitzbank verschwunden. Da hat er dann so lange von außen auf die Motorhaube getrommelt und geschrieen, bis es der Maus zu ungemütlich wurde. Danach war sie jedenfalls weg. Am nächsten Tag wurde in der Küche vom Elephants Nest, wie Chloe ihr Guesthaus getauft hat, eine Maus gesichtet. Sie ist wohl nur umgezogen…Was sich lustig anhört, hätte tatsächlich das vorläufige Ende der Reise bedeuten können. Denn Mäuse fressen wie wir gelernt haben nicht nur Teebeutel, Hundefutter, Kekse, Brot, Ananas, Hautcreme und Fenistil, sondern eben leider auch Stromkabel, Isolierband und Plastikschläuche. Davon ist der Igl voll. Manche Kabel liefern „nur“ den Bordstrom oder Wasser, aber andere führen zu den Bremsen, den Scheinwerfern oder hängen an der Starterbatterie. Zum Glück hat unsere Maus daran keinen Gefallen gefunden, sondern sich mit den Kabeln vom Digitalthermometer und dem USB 12V Ladestecker begnügt und alle unsere Wasserflaschen aufgebissen, um den Resttropfen herauszutrinken. Nichts wirklich schlimmes also. Trotzdem sind wir sehr froh, das Kapitel Maus hiermit abgeschlossen zu haben.
In den 12 Tagen, die wir im Elephants Nest verbringen, treffen nach und nach 6 Overlander und 3 Motorräder ein. Alle haben die Strecke in viel weniger Zeit zurückgelegt als wir. 3 Monate haben sie im Schnitt gebraucht. Wir waren bis hierhin 6 Monate unterwegs – und hatten dennoch oft das Gefühl, zu schnell zu sein, zu wenig von dem zu verstehen was wir sehen, nur an der Oberfläche zu kratzen. Eigentlich alle wollen durchfahren bis Südafrika, manche wollen Afrika sogar umrunden. Einmal zusammen an einem Ort angekommen fängt dann auch das herumgeglucke unter Reisenden an, das uns schließlich zu viel wird. Mit 3 Parteien ist es noch möglich ehrliche und spannende Gespräche zu führen. Sind es mehr, wird jedes Gespräch nurmehr zu einem flachen Austausch von eher typischen Reiseerlebnissen. Eine Geschichte jagt die nächste, meist geht es um Erlebnisse an Grenzen, Visajagden, Pannen oder aufregende Geländefahrten. Fast nie kommt man so in eine Phase der Reflexion, denn jeder möchte der vorangegangenen Geschichte noch einen Superlativ hinzufügen. Das ist auf Dauer nichts für uns und deshalb packen wir schließlich unsere sieben Sachen und brechen nach Assouinde/Assinie auf, wohin Marilena und Andre und später auch Nils, ein junger Backpacker uns folgen.
Dort blieben wir 7 Tage und haben ausgiebig gebadet, bevor wir die nächste Reiseetappe durch Elfenbeinküste und zurück durch Guinea in die Casamanche begonnen, uns also auf den langen Rückweg nach Europa machen. Schnell stellt sich heraus, wie befreiend es ist, die Länder ein zweites Mal zu durchqueren und nun nicht mehr irgendwelchen Routen oder Geheimtipps zu folgen, sondern einfach draufloszufahren ohne besonderes Ziel.
Schon auf der Piste von Assouinde zurück nach Abidjan, von wo aus wir nach einem letzten Einkauf wegen des Guinea Visums, das nur 4 Wochen gilt, aber bereits Anfang August beginnt, nur noch zwei Stopps bis zur Grenze eingeplant haben, hören wir beim Fahren ein verräterisches Knacken von vorne unten. Ausgestiegen, angeschaut und siehe da. Wir haben zwar alle Federgummis erneuern lassen in Abidjan, aber an die vom Stabilisator, oder richtig als Vorderer Drehstab bezeichnet, hatte niemand gedacht. Blöd, denn jetzt sind sie durch und wir müssen sie machen lassen. Also in Abidjan direkt zurück in die Werkstattund aus PU auch diese Gummis gießen lassen. Das geht ausnahmsweise ziemlich schnell und reibungslos, so dass wir nach 2 Tagen Camping in der Werkstatt dann doch losfahren können. Uff. Dass ein paar so winzige Gummis uns so beschäftigen hätten wir niemals geahnt.
Los geht die Rückreise. Wir fahren die beste Autobahn Westafrikas, die Abidjan und die Hauptstadt von Cote d’Ivoire, Yammoussoukro, verbindet und freuen uns nach der langen Pause über das Fahren mit dem frisch reparierten Igl. In Yammoussoukrou übernachten wir mal wieder in einer sehr gepflegten Mission, was die sie umgebenden Löcherpisten und Bretterbuden nur noch auffälliger werden lässt. Sind Hauptstädte überall auf der Welt repräsentative Orte der Macht, ist davon in Yammoussoukrou nichts, aber auch gar nichts zu spüren. Die einst als großzügige Prachtstraßen angelegten Hauptrouten sind von Schlaglöchern zerfressen. An ihren Rändern wuchert das Gras. Verfallende Gebäuse auf eingezäunten Grundstücken säumen die Straßen. Windschiefe Straßenlaternen ziehen sich die schnurgeraden Boulevards entlang bis zum Horizont. Außer Taxis bewegt sich kaum ein Gefährt auf den Straßen und selbst das typische afrikanische Gewimmel aus Marktständen, Bushalten und Straßenverkäufern auf den Straßen findet sich nur an der Hauptstraße.
Dafür gibt es mehrere groß angelegte Areale, auf denen Erinenrungsdenkmale für berühmte Staatsmänner stehen. Und dann natürlich, mitten im Nirgendwo der roten Erdpisten, umzäunt und bewacht, der Nachbau des Petersdoms. Irreal wirkt das. Unfreiwillig komisch. Welchen Sinn hat es, mitten zwischen lauter Branchen eine afrikanische Kopie des Petersdoms zu bauen? Wer kommt auf so eine bescheurte Idee? Wir wundern uns. Verzichten dann auch darauf, den Bau von Innen zu sehen und verlassen die Hauptstadt nach nicht einmal 24 Stunden mit vielen Fragezeichen.
Nach weiteren 2 Tagen über leider nicht mehr so gute Straßen erreichen wir Man, wo wir auf dem Hinweg schon einige Tage verbracht haben und überqueren schließlich am 5. August erneut die Grenze zu Guinea. Die letzten Kilometer bis zur Grenze sind nochmal ein kleines Abenteuer, weil die Chinesen, die in ganz Westafriky den Straßenbau übernommen haben, hier noch mitten in der Fertigstellung der neuen Straße sind, dann sitzen wir mal wieder in einer Holzhütte und warten darauf, dass unsere Pässe gestempelt werden, nur diesmal in strömendem Regen und der Stempel wurde auch nicht geklaut.