Regenzeit in Guinea – I

5.8. – 4.9.2019 Von der Grenze bis Nzerekore

Regenzeit. Das haben wir uns als Dauerregen mit Mosquitoattacken und Schlammbädern vorgestellt. Zumindest in Elfenbeinküste war davon nicht die Rede. Klar, es gab weggeschwemmte Straßen, tiefe Schlammlöcher und heftige Regenfälle mit Gewittern, aber nicht einmal wurde es so schlimm, dass wir befürchtet hätten steckenzubleiben, obwohl wir viele Pisten und pistenähnliche Nationalstraßen gefahren sind. Als wir aus Abidjan gen Guinea aufgebrochen sind, wurde uns dann aber doch etwas mulmig bei dem Gedanken, dass der August nun ausgerechnet der regenreichste Monat im ohnehin vergleichsweise regenreichen Guinea sein würde. Und wir erinnerten uns nur allzu gut an die schlechten Straßen und tiefen Schlaglöcher Guineas. Eins der Wahrzeichen des Landes sozusagen.

Auch deshalb entschieden wir uns für den gängisten Grenzübergang, von Danane über Gbapleu nach NZoo. Und tatsächlich kamen wir hier problemlos durch. Wenn ich an die Einreise nach Cote d’Ivore denke, würde ich sogar sagen: spielend. Sogar die chinesische Nationalstraße, die uns von anderen Reisenden noch als unfertig beschrieben wurde, war auf guineeischer Seite bereits fertiggestellt und so fuhren wir ab Guinea zu unserer Überraschung die ersten hundert Kilometer auf nigelnagelneuem Asphalt. Die Grenzformalitäten erledigten wir in strömendem Regen und ich habe nach dem Regen die ersten 2 Kilometer im Land sogar zu Fuß zurückgelegt, damit der arme Thio auch mal aus der Hitze des Wagens herauskommt und ein paar Meter laufen kann.

Vom eigentliche Grenzübergang bis nach NZoo, wo man die Zollangelegenheiten (temporäre Einfuhr Igl) erledigen kann, sind es rund 20 Kilometer auf denen wir von einem altbekannten Geräusch eingeholt werden. Ein metallisches Knarzen vorne links lässt uns innerlich aufstöhnen. Wie kann das sein? Erst vor 1500km sind wir in Abidjan losgefahren und hatten dort alle Gummilager erneuern lassen. Waren sogar nochmal in der Werkstatt vorbeigefahren, um auch die Gummis im vorderen Drehstab erneuern zu lassen und dachten, dass nun endlich Ruhe sein würde und wir gemächlich mit gut gewartetem Wagen zurückfahren könnten und all das, was wir auch deshalb ausgelassen hatten, nachholen könnten. Die Casamanche im Senegal, die Strände in Gambia, die Sahara in Mauretanien und das Atlasgebirge in Marokko. Dieses verflixte kleine Geräusch stellte all das kurzfristig wieder einmal in Frage und alle Zweifel ob der Fortbewegungsart Auto ploppten sofort wieder auf. Also angehalten, ausgestiegen, nachgesehen und tatsächlich. Die gerade erst erneuerten Gummis am Stabilisator hängen in Fetzen. Argh. Und das in Guinea, wo es nichtmal ein vernünftiges Stück Gummi gibt. Welcome back.

Man könnte auch sagen Glück im Unglück. In NZoo fragten wir an der Zollstation, ob wir eine Nacht dort bleiben könnten, um den Wagen zu reparieren. Können wir. Wie immer kommen im 5 Minutentakt Dorfbewohner vorbei und fragen ob alles OK ist und ob sie uns helfen können. Darunter auch einer der beiden lokalen Mechaniker. Er sagt, kein roblem, ich komme morgen früh, dann reparieren wir das. Robert schraubt Abends noch die Stabistange ab und schaut sich das Desaster genauer an. Und naja, sind halt kaputte Gummis, wird man schon hinbekommen, notfalls eben Afrikanisch. Und so soll es dann auch kommen. Am nächsten Morgen ist der Mechaniker natürlich nicht da. Wir machen uns auf die Suche nach ihm und finden seine kleine Werkstatt – ein paar zurechtgeschnitzte Holzpflöcke, die ein Strohdach tragen, ein paar uralte Werkzeuge, alte Motorradreifen, viel Schrott und alles voller Öl. Er hat aber tatsächlich im Dorf nachgeforscht und eine Metallhülse gefunden, die der, die wir benötigen, um den neuen Gummi darumherumzulegen, gleicht. Nun besorgt er noch Gummi, das dauert etwas länger und schliesslich taucht er mit Resten eines alten Motorradreifens wieder auf. Da er irgendwie nochmal losmuss, macht sich Robert selber an den Einbau und nach einer weiteren Stunde ist alles getan. Wir geben dieser Lösung keine 1000 Kilometer. Verraten sei, am Ende hat sie fast 3000km bis Gambia überlebt.

Nach diesem Erlebnis glauben wir nicht mehr daran, dass die Lager aus Abidjan wie versprochen ein Leben lang halten werden. Klar ist auch, dass wir in den nächsten 6 Wochen auf keinen Fall richtige Ersatzteile besorgen können. Also richten wir uns darauf ein afrikanische Lösungen zu finden und selber Hand anzulegen. Wir haben uns nun mehrfach angeschaut, wie man die Blattfedern löst und die Gummilager wechselt. Das ist kein Zauberwerk und sollte zusammen mit einem afrikanischen Straßenmechaniker zu schaffen sein. Allein, in Guinea gibt es keinen Gummi, das haben wir auf der Hinfahrt schon lernen müssen. Also halten wir nach Gummi Ausschau. Und werden schon in Lola auf einem familienbetriebenen Schrottplatz an der Hauptstraße fündig. Wir finden dort ein riesiges Stück besten Gummis vom Reifen einer Baumaschine aus Sierra Leone, wie der Betreiber nicht ohne Stolz sagt. Das müssen wir uns dann leider auch etwas kosten lassen. Wofür wir bei uns bezahlen müssten, um die Altlast an den Schrotthändler loszuwerden, sollen wir hier fast 15€ berappen. Das sind für einen durchschnittlichen Guineer etwa drei Tageslöhne.


Wir weigern uns, diesen Preis zu bezahlen, der Alte lässt nicht mit sich handeln. Wir bedanken uns höflich, beenden das Geschäft ohne das Stück Gummi mitzunehmen und fahren in Richtung Nzerekore. Der Alte lässt uns ziehen und geht beten, es ist Freitag, 14 Uhr. Auf halbem Weg nach Nzerekore kommen uns Zweifel. Noch nie zuvor hatten wir in Guinea ein so schönes Stück Gummi gesehen. Werden wir so eins wieder finden? Mit den kaputten Gummis werden wir uns über kurz oder lang die Aufnahme der Federn zerstören oder noch schlimmer, die Aufhängung von der Karosserie abreißen. Das wäre dann schon ein ziemlich großes Problem. Wegen 15€ ein solches Risiko eingehen? Wir diskutieren 20 Minuten, während wir die wunderschöne sattgrüne mit Palmen gesäumte Asphaltstraße entlangfahren – und drehen schließlich herum. Die Familie des Schrotthändlers empfängt uns mit großem Hallo und schnell haben sie dann doch noch das Geschäft des Tages mit uns gemacht und laden uns auf einen Tee ein.
Nun ist es bereits Nachmittag und wir sind immer noch oder vielmehr schon wieder in Lola und haben noch keinen Schlafplatz gefunden. Also fragt Eva in die Runde, ob jemand wisse, wo im Umkreis von 10 Kilometern wir mit dem Wagen übernachten können. Am Liebsten in der Natur mit schönem Blick. Hätte ich das mal lieber nicht getan. Erstens versteht keiner der 5 Männer, warum wir in unserem Wagen schlafen möchten. Zweitens fällt niemandem ein Ort ein, wo wir bleiben können. Drittens können sie überhaupt nicht verstehen, dass wir lieber einen schönen Ort in der Natur haben, als einen sicheren Platz in einem gemauerten Hof. Weil sie nun aber Afrikaner sind und ihr Gesicht nicht verlieren wollen, können sie nicht zugeben, dass sie überhaupt nicht verstehen, was wir von ihnen wollen und überlegen fieberhaft, wie sie das Problem, vor das wir sie unwissentlich gestellt haben, lösen können.


Eine zweistündige Odyssee durch Lola beginnt. Der Stadtchef wird angerufen, das Problem geschildert. Er sagt, wir sollen vorbeikommen. Wir fahren hinter einem der Männer her quer durch die Stadt ins Rathaus. Dort sprechen wir mit dem Bürgermeister. Der bietet uns an, auf dem Schulhof zu übernachten. Wir fragen, ob man von dort die Natur sehen kann. Nein, aber es ist sicher. Wir bedanken uns, lehnen aber ab. Er schlägt vor, dass wir auf dem alten Sportplatz übernachten können. Wir fragen, ob man von dort die Natur sehen kann. Nein, aber direkt nebenan ist das Militär. Es ist sicher dort. Wir bedanken uns wieder höflich, aber lehnen ab. Er hat schließlich die Nase voll und sagt, wir sollen mit dem Polizeichef klären, wo wir übernachten können. Wieder geht es hinter dem Moped her durch die Stadt. Bis zum Polizeichef. Der führt uns in sein Büro. Die Daten aus unseren Pässen werden aufgenommen. Von einem Analphabeten wie es scheint, denn er malt ungefähr 20 Minuten an den Buchstaben eines Passes und noch einmal so lang braucht er für den anderen Pass. Dann erkläre ich wieder, dass wir einen Platz zum Übernachten suchen. Das könne er nicht erlauben, sagt der Polizeichef, er sei für unsere Sicherheit verantwortlich und die könne er nicht garantieren, wenn wir nicht in der Schule oder auf dem Sportplatz übernachten. Leicht genervt, aber dennoch freundlich erkläre ich, dass wir nun seit fast 8 Monaten unterwegs sind und kaum eine Nacht innerhalb von Mauern genächtigt haben. Und dass es schon OK sei, wenn wir irgendwo draußen stünden. Dass wir nur einen Platz bräuchten, wo das Militär und die Polizei uns nicht wecken, denn das seien bislang die einzigen gewesen, die wir Nachts getroffen hätten. Er überlegt. Er fragt nochmal nach. Er telefoniert. Er berät sich. Schließlich sagt er, dass es auf dem Berg gegenüber seines eigenen Hauses einen Platz gebe, auf dem wir stehen könnten. Können wir von dort aus die Natur sehen? Oh ja, sagt er, sogar den Mont Nimba. Alles klar sagen wir. Als es endlich dorthin losgehen soll regnet es so, dass wir das Haus nicht verlassen können ohne sofort in den tiefen Regenlöchern zu versinken. Selbst die Afrikaner bleiben für einige Minuten unter den Dächern stehen. Alles steht still. Als es endlich aufhört zu regnen fahren wir wieder hinter dem Mann mit dem Motorrad her, der uns bereits den ganzen Nachmittag begleitet hat.


Er führt uns in eine Wohnsiedlung auf einem Berg. Direkt gegenüber des Verwaltungsgebäudes und eines Militärstützpunktes zeigt er stolz auf einen Sandplatz und sagt, hier könnt ihr stehen. Hier seid ihr sicher. Da drüben, das ist das Haus des Polizeipräsidenten von Lola. Aber wo ist der Mont Nimba? Oh der, der ist direkt hinter den Häusern da, den Berg hoch um die Ecke. Könnt ihr nicht verfehlen. Können wir da mit dem Wagen hinfahren? Nein, da kann man nicht langfahren. Kann man ihn sehen? Ja, manchmal, bei schönem Wetter. Aber jetzt sei Regenzeit. Da natürlich nicht. Es beginnt zu dämmern. Es beginnt in Strömen zu regnen. Wir seufzen und ergeben uns in unser Schicksal. Direkt neben dem Funkmast, der mit einem laut rumorenden Generator betrieben wird, in strömendem Regen, stellen wir den Igl ab, fahren unsere Markise aus, setzen uns auf unsere neuen bunten Plastikstühle, kochen Auberginenpasta und spielen Kalaha oder Awele, wie es in Cote d Ivoire heißt, ein uraltes Brettspiel, das wir in Man gekauft haben. Robert erteilt mir ausdrückliches Verbot, jemals wieder ohne Not nach einem schönen Übernachtungsplatz in der Natur zu fragen. Ich verspreche es.