Regenzeit in Guinea – IV

4.8. – 5.9.2019 Von Mamou bis Labé

Kurz bevor wir in Kankan sind, nimmt Emmanuel Kontakt mit uns auf. Er fährt einen alten Magirus und wir sind eigentlich schon seit Marokko laufend in Kontakt. Alles fing damit an, dass wir einen Mitfahrer für die Wüstenstrecken in Mauretanien gesucht haben und in diesem und jenem Overlanderforum nachgefragt haben, wer denn auch gerade in der Gegend sei und nach Mauretanien fahren würde. Es haben sich einige Leute gemeldet, auch Emmanuel. Aber irgendwie haben wir dann ja die beiden Blauen von insnirgendwo.de getroffen und haben Gas gegeben und Mauretanien auf die Rückfahrt vertagt. Emmanuel hingegen hat sich monatelang in der Wüste Marokkos und Mauretaniens herumgetrieben und ist dann wegen kaputter Stoßdämpfer in Mali gestrandet. Aber in Guinea kreuzen sich unsere Wege dann doch noch. Er fährt von Bamako nach Conakry und will dann ans Wasser. Wir kommen von Elfenbeinküste und wollen nochmal an die Wasserfälle im Fouta Djalon und von dort in die Casamanche im Senegal.

Mamou wird schließlich der Ort sein, an dem wir uns treffen und dann für einige Wochen zusammen fahren.
Wir warten vor dem örtlichen Bierladen auf ihn und irgendwie passt das auf Anhieb und deshalb fahren wir gleich zusammen weiter. Keine 20 Kilometer weiter in den Bergen machen wir den ersten Stopp am Rande einer Piste, von wo aus wir einige schöne Spaziergänge unternehmen. Immer wieder halten auch hier Mopedfahrer und Fußgänger auf der Straße an, kommen herüber, fragen uns wie es uns geht, ob sie helfen können, ob wir nicht ihr Haus und ihre Familie kennenlernen möchten oder wollen wissen, wo wir herkommen und wo wir hinwollen. Auch der Chef des Dorfes wird benachrichtigt und kommt vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Ebenso der örtliche Polizist. Wir erklären immer wieder, was wir tun und wer wir sind und wo wir hinwollen und dann sind immer alle zufrieden und heißen uns willkommen und gehen ihres Weges. Einmal kommt ein Mopedfahrer vorbei und erzählt uns, dass er einige Kilometer weiter eine Plantage habe mit Obst und Gemüse, die er zusammen mit einem Schweizer betreibt. Wir könnten vorbeikommen und uns die Plantage ansehen. Wir seien herzlich eingeladen. Es gebe auch eine Hütte, in der wir übernachten können und er würde sich freuen, wenn wir seine Gäste seien. Wir schauen uns an und denken, warum eigentlich nicht, auf einer Plantage waren wir noch nie zu Gast. Am nächsten Tag brechen wir zusammen zu seiner Plantage auf. Wir fahren etwa 20 Kilometer und schließlich, in einer Kurve der Piste, sagt er, hier könnt Ihr die Wagen abstellen, das ist meine Plantage. Große Enttäuschung. Weder können wir die Wagen auf dem Gelände abstellen, noch ist eine Plantage zu sehen. Aber nun sind wir einmal hier und können nicht gleich wieder fahren, also richten wir uns darauf ein, zwei Tage am Rande der Piste zu campieren. Emmanuel hat ohnehin Schwierigkeiten mit der Druckluft der Bremsen und muss das reparieren. Warum also nicht hier?


Während Emmanuel repariert lassen wir uns von unserem Gastgeber alles zeigen. Das Gelände, das sich am Ende doch als größer herausstellt als gedacht. Die Hütte der Schweizer, die einmal im Jahr vorbeikommen und nach dem Rechten sehen. Das Wohnhaus des Gastgebers, der im Hauptberuf Lehrer ist. Die Dorfschule. Auf der Plantage, mit deren Ertrag jedes Jahr ein weiteres Stück Land angekauft werden kann, gibt es wahrlich viele Nutzpflanzen. Kokospalmen, Maniok, Erdnüsse, Orangen, Zitronen, Bananen, Avocado, Mango und sogar ein Reisfeld und so vieles mehr, an das ich mich nicht mehr erinnere. Immer wieder haben uns die Guineer erzählt, dass in ihrem Boden bei den klimatischen Bedingungen nichts kultiviert werden kann außer Palmen für Palmöl, ein paar Bananen, Reis und Maniok. Dieser gepflegte Nutzgarten zeigt, dass es sehr wohl anders geht. 6 Männer helfen, den Garten zu bewirtschaften. 3 hauptberuflich, 3 Tagelöhner. Und siehe da, es geht.


Dann besuchen wir die Schule. Sie ist in jämmerlichem Zustand. Momentan sind Ferien, so dass der Schulhof Meterhoch zugewachsen ist mit Gräsern. Um das langgezogene schmucklose einstöckige gemauerte Gebäude ist Maschendraht gezogen, damit die Tiere das Gebäude nicht zum Stall umfunktionieren. Es gibt drei Klassenräume mit Bänken aus handgeschlagenem mit Macheten zurechtgeschnitztem Holz. Der ganze Stolz des Schulleiters ist eine große Weltkarte an der Wand, der man leider ansieht, dass sie nicht gut gepflegt wird. Auf der Karte haben Insekten ihre Lehmbauten angelegt, sie ist mit Spinnweben und Fledermausdreck überzogen. Im Zimmer des Schulleiters steht ein großer Holztisch, über und über beladen mit Papierstapeln und Schulheften. Sieht nicht aus, als wären die Materialien in den letzten Jahren bewegt worden. An das Zimmer schließt sich das Magazin an, in dem auf uralten, halb zusammengebrochenen Regalen die Schulmaterialien lagern. Eine Umzugskiste voller Hilfsmittel für den Mathematikunterricht, Zirkel, abgebrochene Lineale und Geodreiecke. Überall unordentlich zusammengeworfene Stapel von Lehrbüchern für Englisch, Biologie, Französisch. Eine Kiste voller Kugelschreiber. Die Regierung versorgt uns nicht mit ausreichend Materialien, beschwert sich der Schulleiter. Sie teilen uns nicht mal einen dritten Lehrer zu. Wir sind seit letztem Jahr zu Zweit und unterrichten 3 Klassen á 50 Schüler. Das geht doch nicht. Die Kugelschreiber und die Wandkarte habe der Schweizer spendiert, ebenso wie einheitlichen Schul-T-Shirts und ein Album mit den Fotos der letzten Abschlussklasse. Aber wie sollen wir den Kindern so etwas beibringen, fragt er?
Ja, wie?

Andererseits, wenn so wenig Mittel verfügbar sind, warum geht man mit dem was es gibt, dann nicht pfleglicher um? Warum wird die wertvolle Karte am Ende des Schuljahres nicht eingerollt und konserviert? Warum fliegen die Materialien im feuchten Magazin herum und werden nicht ordentlich weggepackt? Wie so oft denken wir, dass nicht verfügbare Mittel eben nur die eine Seite der Medaille sind. Die andere Seite ist, Initiative zu ergreifen und selber tätig zu werden, sich etwas einfallen zu lassen, um die Situation wenigstens ein bisschen zu verbessern. Hm. Zweischneidige Sache.

Wir machen uns auf die Suche nach einem entspannten Platz am Wasser und hoffen, einen ähnlich schönen Platz zu finden wie den Wasserfall in Salaa im Norden von Labe. Da können wir zusammen nun leider nicht hin, weil der LKW für die Strecke zu hoch und zu schwer ist. Überhaupt der LKW. In den ersten Tagen erinnern wir uns permanent an unseren eigenen LKW, den wir so liebten auf der letzten Reise, nun aber südlich von Berlin in einer Halle abgestellt haben, um mit dem kleineren und leichteren Igl loszufahren. Wir finden es spannend, nun den direkten Vergleich zwischen der Reisetauglichkeit der beiden Gefährte zu haben. Und was soll ich sagen. Außer, dass man sich natürlich fantastisch sicher fühlt in so einem Bollwerk von LKW und sich jederzeit ins Private zurückziehen kann, sehen wir hier in dieser Gegend eigentlich fast nur Nachteile. Immer wieder fahren wir Strecken zurück wegen des LKWs. Einmal passt er nicht auf die Fähre, dann passt er nicht durch den Hohlweg. Dann ist er zu schwer für eine Brücke. Dann sackt er ein im schlammigen Untergrund und es gibt keinen LKW oder Traktor, der kräftig genug wäre ihn herauszuziehen. Dann wieder hat er mitten in einer Sanddüne eine Panne und auch hier gibt es niemanden, der ihn herausziehen kann. Selbst der herbeigerufene lokale Traktor und der zusätzlich eingesetzte 10t LKW zusammen können ihn kaum 10 cm bewegen und graben sich dann selber ein. Gut ist hingegen, dass die Technik so robust und zugänglich ist, dass man das meiste unterwegs selber reparieren kann. Das ist schon beeindruckend, wie immer wieder kleine und auch größere Teile ausfallen, die Emmanuel aber mithilfe eines Freundes zuhause, der ihm Tipps gibt, mit einigem Zeitaufwand, aber letztlich zufriedenstellend lösen kann. Gut ist auch, dass er ohne Probleme noch sein Motorrad hinten aufladen und so eigentlich immer Hilfe holen kann. Und natürlich ist es fantastisch 400 Liter Wasser und 600 Liter Diesel vorrätig zu haben. Allein, wenn der Liter Diesel 1€ kostet, was er fast überall in Westafrika tut, die Bank in der Regel aber nur zwischen 50 und 80€ ausspuckt, ist er natürlich ganz schön beschäftigt, bis er das nötige Kleingeld für einmal Volltanken parat hat.




Für uns ist es natürlich ganz prima mit ihm zusammen zu fahren. Nicht nur, weil wir uns gut verstehen, Abends zusammen kochen, vom Reisen und Motorradfahren erzählen und Bier dazu trinken, sondern auch, weil der LKW den Igl spielend herausziehen kann. Das macht uns mutiger, lässt uns Erfahrungen sammeln und Zutrauen in die Geländetauglichkeit vom Igl gewinnen. Ob im Schlamm, auf spiegelglattem tonartigem Untergrund, bei Wasserdurchfahrten oder auf matschigen Pisten, im Tiefsand oder in den Dünen. Es ist einfacher, sich da reinzutrauen, wenn man jemanden dabei weiß, der einen herausziehen kann. Letztlich musste er das dann nur einmal tun, da aber hätten wir lange Schaufeln müssen, bis wir wieder herausgekommen wären.


Ihn selber erwischt es allerdings wenig später übel. Nachdem wir einige Pleiten erlebt haben auf der Suche nach einem schönen Stellplatz am Wasserfall fällt uns Aiguel wieder ein. Dort waren wir im Mai für einige Tage. Zwar wollte wieder irgendwer irgendein Geld dafür haben, dass wir dort auf der Wiese stehen, aber wir residierten fantastsisch zwischen den Bergen in einem weitläufigen Tal direkt am Fluß und man konnte eine wunderbare Wanderung zu einem nahe gelegenen Wasserfall machen. So weit die Erinnerung. Wir davon erzählt und gesagt, getan und losgefahren. Olala, was für ein Ritt. Auf den folgenden 50 Kilometern Piste war so ziemlich alles dabei, was zum Offroadfahren dazugehört. Vom Regen tief ausgewaschene Pisten, undefinierbare tiefe Schlammlöcher, steile Geröllstrecken, schmale Bachdurchfahrten, glitschige Rutschpisten und Dauerregen. Denn was wir verdrängt hatten war, dass Aiguel in einem ziemlich einsamen Tal liegt. Und dass wir doch noch einen Ort finden würden, an dem es im August tatsächlich jeden Tag regnet, hätten wir auch nicht gedacht. Ist aber so. Jeden Tag regnet es mehrere Stunden, die Wolken ziehen düster und schwer durchs Tal und dazu gibt es heftige Gewitter. Das hätte uns so sehr nicht gestört, wenn die Strecke zu dem schönen Stellplatz nicht über eine Wiese ins Flusstal und dann über eine Furt geführt hätte. Als wir endlich im Dorf Aiguel ankommen, wird uns schlagartig klar, dass unser Ausflug hier zu Ende sein könnte. Schon am Tag vorher hatten wir erlebt, dass auch der Igl, an der falschen Stelle auf die Wiese aufgefahren, schneller bis zum Bodenblech im Schlamm versinken kann, als man bis 10 zählen oder den Rückwärtsgang einlegen kann.


Wir bleiben deshalb oben am Wiesenrand stehen und beratschlagen. Ich will gar nicht weiterfahren. Die beiden Männer wollen es versuchen. Der Igl soll zuerst fahren, um zu sehen, ob der Boden trägt oder ob er einsinkt. Funktioniert das, kommt Emmanuel nach. Ich fluche. Ich schwitze. Ich will eigentlich nicht fahren. Aber schließlich denke ich, naja, Emmanuel ist ja da, er wird uns schon herausziehen und lasse den Igl im Standgas den Bergpfad herabrollen. Es passiert … nichts. Wir fahren 100 Meter, alles Prima, kaum Spuren zu sehen. Das hat sich auch Emmanuel gedacht und fährt los. Als wir eben um die erste Ecke gebogen sind ertönt seine LKW Hupe. Was ist los? Robert steigt aus. Kommt nicht zurück. Ich steige auch aus, biege um die Ecke und sehe den Magirus wie er, einem gestrauchelten Elefanten gleich um 30 Grad eingesunken auf dem Bergrücken feststeckt. Ohweia. Wir begutachten das Dilemma. Sieht ziemlich blöde aus. Aus eigener Kraft bekommen wir den nicht raus. Wir fragen die Dorfbewohner, ob es in der Gegend einen LKW oder großen Traktor gibt. Ja, den gibt es. Der Fahrer wird angerufen, teilt aber mit, dass er im August auf keinen Fall in das Dorf kommen wird, aus Angst selber hängenzubleiben. Nach und nach stoßen mehr Dorfbewohner zu uns. Schließlich bieten sie an, uns zu helfen. Sie nennen uns einen Preis, für den sie den LKW mit Körperkraft herausbringen wollen. Aua, nicht gerade ein Schnäppchen. Was sollen wir tun? Emmanuel schlägt ein.


48 Stunden wird die Aktion schließlich dauern und manchmal denken wir, der LKW wird kippen oder bis zum Ende der Regenzeit hier stehen bleiben müssen, so verfahren ist die Situation. Es regnet weiter, beinahe ununterbrochen. Sobald der Reifen freigebuddelt ist, läuft das Loch bis oben hin mit Wasser zu. Herbeigebrachte Äste und die Sandbleche bieten nicht die notwendige Stabilität, um Kraft auf den Reifen zu bringen. Der Wohnaufbau ist Dreipunkt gelagert, aber die Lagerung ist zu weich eingestellt, so dass der Koffer zusätzlich Gewicht auf die eingesunkene Seite bringt. Schließlich zieht und stemmt und schiebt das ganze Dorf. Rund 50 Personen hängen an Seilen, Kinder, Frauen, alte Männer. Die jungen Männer bringen Geröll, das von ausgetrockneten Termitenhügeln stammt, weil das angeblich Wasser aufsaugt, und trockenen Sand, um eine Auffahrrampe zu bauen. Das Loch, in dem das festgefahrene Rad steht, ist mittlerweile rund 4 Quadratmeter breit ausgehoben und mit Ästen, Geröll, trockenem Sand ausgestreut.

Immer wieder denken die Männer, dass es jetzt klappen muss, aber die Kraft von 50 Menschen und dem LKW reicht nicht aus, um den Wagen aus dem Matsch zu fahren. Emmanuel versucht das Gewicht zu reduzieren, lädt zunehmend mehr Dinge aus dem Koffer, lässt das Wasser ab. Und schließlich, indem er mit Kupplung und Gas spielt währenddessen die Männer den Koffer aufschaukeln, greifen die Räder und der LKW fährt aus dem Loch. Welche Erleichterung! Alle jubeln und schreien und fallen sich in die Arme. Minutenlang hört man nur Jubeln und Lachen. Danach schafft Emmanuel es tatsächlich rückwärts wieder auf sicheren Boden zu gelangen. Puh. Das will man nicht jeden Tag erleben. Inzwischen hatten wir uns übrigens auch Sorgen gemacht, ob der Igl bei dem anhaltenden Regen wirklich den Hügel wieder hochkommt. Die Sorgen waren unbegründet, er erklimmt leichtfüßig den Berg, als wäre alles überhaupt kein Problem. Das war wohl einfach Pech. Oder die Spur vom Maggi war das bisschen zu breit, um noch auf dem gestampften Weg zu fahren.


Wir bitten darum, nach dem Schreck noch einige Tage bleiben zu können. Können wir. Trotz Regens werden es sehr schöne Tage in atemberaubender Natur. Waren die hügeligen Wiesen im Tal im Frühjahr braun und gelb, tragen sie jetzt sattes grün. Überall fließt Wasser, der kleine Fluss im Tal ist zu einem reißenden Strom geworden und das Schauspiel am Himmel fasziniert uns sehr. Nach der langen Suche haben wir also doch noch einen Platz am Wasser gefunden, wenn auch das Wasser zu gleichen Teilen von oben und unten kommt. Nach diesem Erlebnis haben wir einen Stellplatz auf felsigem Untergrund gefunden. Da stehen wir sicher, kann uns nichts passieren. Wenige Minuten, nachdem wir dort eingeparkt haben, reißt der Himmel auf und schüttet Wasser in Goldfischteichkübeln auf uns herab. Eben war da noch eine Piste, jetzt fließt ein Fluss, in dem meine Füße bis zum Knöchel versinken. Auch das Herausfahren aus dem Tal kostet uns nochmal einiges an Nerven, geht aber ohne weitere Pannen vonstatten.

Langsam haben wir die Nase voll vom Regen. Alles ist ständig klamm, alles rostet, sogar die Edelstahlschüsseln und mein Autoschlüssel. Auch unser Visum läuft bald aus. Und so beschließen wir, in die Casamanche im Senegal aufzubrechen.

Den hier haben wir auf der Straße getroffen.