Lockdown in Marokko II Aufbrechen oder Aussitzen?

3. März – 22. März 2020

Wir konnten aus Marokko gut verfolgen, wie sich die Situation in Italien langsam zuspitzt. Die von den routinierten Marokkoreisenden vorab gebuchten Tickets von Tanger nach Genua wurden spätestens an dem Tag wertlos, als Italien den Lockdown verkündete und die Grenzen schloß.

Zu dem Zeitpunkt konnte man von Tanger aus noch nach Algeciras in Spanien übersetzen, auch nach Sete in Frankreich gingen noch Fähren. In den Foren auf facebook fingen die ersten Wohnmobilisten an zu diskutieren: aussitzen oder losfahren?

Die erste Welle fuhr um den 12. März los. Wenige Tage später stellte Marokko den Flugverkehr nach und von Europa komplett ein, aber Reisende mit europäischem Pass konnten noch über die spanische Exklave Ceuta auf marokkanischem Festland ausreisen und von dort übersetzen. Eine zweite Welle von Wohnmobilisten brach auf.

Am 20.3. erklärte der marokkanische König den Ausnahmezustand und damit verbunden eine weitgehende Ausgangssperre. Bei zu dem Zeitpunkt gerade mal 40 bis 60 nachgewiesenen Infektionen landesweit. Auch unser Freund Georg wurde jetzt unruhig und fuhr Richtung Guelmim um Frischwasser zu suchen. Dort hat er begriffen, dass die Lage sich sehr schnell zuspitzt. In Anbetracht der zunehmend schliessenden Läden, der abgesperrten Wasserhähne und der sich leerenden Campingplätze entschied er sich, spontan die über 1200km nach Ceuta durchzufahren. Er war einer der letzten Reisenden, die mit einer regulären Fähre den afrikanischen Kontinent verlassen haben.

Das war am 22. März. Am gleichen Tag weitete der marokkanische König die Ausgangssperre um eine Reisesperre aus und ab dem Zeitpunkt war klar, dass wir vorerst genau hier bleiben werden. Bis dahin hatte ich noch die vage Hoffnung, dass wir zwar auf unbestimmte Zeit in Marokko bleiben müssen, uns im Land aber bewegen können, da die Infektionszahlen so niedrig waren und niemand mehr ins Land kommen konnte. Rückblickend war da wohl der Wunsch Vater des Gedankens.

Nun reichlich panisch brach eine dritte Welle von Wohnmobilisten gen Norden auf, in der Hoffnung, das Land noch im letzten Moment über Ceuta gen Europa zu verlassen. Aber due Grenze war dicht. Spanien ließ keinen mehr rein. Für die Reisenden wurde aber rasch eine Sonderregelung gefunden. Nach einigen Tagen auf einem Parkplatz bei Tanger war eine Fähre gechartert. 1200€ kostete die Überfahrt nach Genua. Darüber wurde auch in Europa berichtet, wir haben einige Nachfragen von Euch erhalten.

Wir selber haben uns eigentlich nur einmal ernsthaft gefragt, ob wir das Land verlassen oder notfalls längere Zeit hier festsitzen wollen, bis die Grenzen öffnen und der reguläre Fährbetrieb wieder starten kann. Wobei zu dem Zeitpunkt völlig unklar war, was längere Zeit meinen würde – wenn ich von heute aus genau darüber nachdenke, ist es das immer noch. 4 Wochen? 3 Monate? Ein halbes Jahr?

Darüber haben wir rund 24 Stunden nachgedacht, auch deshalb, weil unsere Krankenversicherung im Kleingedruckten verlauten liess, dass im Falle einer Reisewarnung für das Land in dem man gerade reist, der Versicherungsschutz nach 14 Tagen erlischt. Da Jens Spahn eine weltweite Reisewarnung ausgesprochen hat, hätte das auf uns zugetroffen. Denn wegen der langen Reisezeit haben wir unsere deutschen Versicherungen stillgelegt. Sie gelten nicht im Ausland und auch die Auslandserweiterungen sind meist auf Reisedauern zwischen 65 Tagen und einem Jahr begrenzt. Tja, das hatte ich bei Abschluss zwar gelesen, aber damals gedacht, dass es ein Leichtes sein dürfte, das Land, für das die Reisewarnung ausgesprochen wurde, innerhalb von 14 Tagen zu verlassen.

Dass die Welt eine einzige Reisewarnung sein könnte und es somit kein Land geben würde, in dem wir nach dieser Regelung noch versichert wären, diesen Fall fand ich extrem unwahrscheinlich. Und trotzdem ist er eingetreten.

Auf der Seite der KV jedenfalls Mega-Ansturm und nach zwei Tagen Bangen dann die Nachricht, dass in diesem außergewöhnlichen Fall diese Regelung nicht zutrifft. Puh, Entspannung. Und wie kann es anders gehen? Wir stecken nur in Marokko fest, einen Katzensprung von Europa entfernt. Viele unserer Reisefreunde haben es da komplizierter getroffen. Zwei Backpacker in Äthiopien, mittlerweile mit einem der letzten Flieger nach Hause geflogen und trotz des radikalen Reiseabbruchs (genau genommen: Reiseunterbrechung) nach vielen Monaten Afrika ganz froh zuhause zu sein. Die beiden Blauen in Südafrika, das etwas später als Marokko die Grenzen geschlossen hat, im angemieteten Strandhaus. Die beiden Schweizer zum Glück aus Mali raus und in Mauretanien hängengeblieben. Nach einigen Tagen des Schwankens zwischen ausfliegen und dafür Wagen stehenlassen und Wüstenisolation, nun schon seit einigen Wochen ohne Wagen zurück in der Schweiz.

So ist es auf der ganzen Welt. Überall stecken Reisende, die wir unterwegs getroffen haben, mit ihren Wagen fest: In Togo im Dschungel, in Saudi Arabien in der Wüste, mit dem Segelschiff in der Karibik. Wollen ihr zuhause – ihren Wagen, ihr Schiff – nur ungern zurücklassen und finden zudem, dass sie momentan sicherer und isolierter dort sein können, wo sie sich gerade befinden.

So auch wir.

Uns haben viele besorgte, auch mahnende Nachrichten aus Deutschland erreicht. Dass die Versorgung hier nicht gut sei. Dass es besser wäre zuhause zu sein. Dass wir uns absichtlich in Gefahr begeben. Bisher geht es uns hier prächtig, wir haben alles was wir brauchen. Und deshalb hoffen wir sehr, dass diese Sorgen sich als Unwahr herausstellen und wir irgendwann in diesem Jahr gesund und munter wieder nach Deutschland reisen können. Ich kann nicht sagen, dass mich bei der Vorstellung, was uns alles passieren könnte, nicht manchmal doch ein leichtes Unwohlsein ergreift. Aber ehrlich gesagt wäre das in Deutschland momentan kein bisschen anders. Oder wie ergeht es Euch so?

Ich glaube, eine so große Ungewissheit haben die meisten von uns in unserem ganzen Leben noch nicht erfahren. Auch wir fragen uns, in was für ein Europa wir zurückkehren werden. Ob und wie sich unser Leben verändern wird. Wie tief die Wunden sein werden, wenn viele ihre geliebten Eltern, Großeltern, Tanten, Freunde oder Nachbarn verloren haben werden. Und wir hoffen inständig, dass die ergriffenen Maßnahmen dazu führen, die Epidemie unter Kontrolle zu halten.

Wir verfolgen auch mit Sorge, dass gerade Künstler und Kreative besonders betroffen sind und möchten hiermit allen, die Arbeit haben, ans Herz legen, die bereits notierten Bücher von Euren Lieblingsautoren jetzt zu kaufen, die Musik von Euren Lieblingsmusikern rauf und runter zu hören (und nicht zu vergessen sie auch vorher zu kaufen) und bei Eurem kleinen Lieblingsrestaurant um die Ecke Essen nach Hause zu bestellen. Noch dazu sei der Aufruf hinzugefügt: bestellt bei kleinen Buchläden und Musikvertrieben und macht Experimente! Unterstützt die Kleinen und nicht die Giganten. Wir werden diese Vielfalt sonst lange sehr vermissen.

Wir haben uns jedenfalls entschieden. Wir bleiben hier. Nach kurzer Zeit haben wir von Bergabenteuerlust auf Kuraufenthalt umgestellt. Von Reiseabenteuer auf Datsche. Und was soll ich sagen, das ist so schlecht jetzt auch nicht.

Seit 22. März ist das Setting an der Quelle fix gewesen. In den Wochen zuvor kamen ab und an geführte Abenteuerreisegruppen in viel zu großen Allrad LKW vorbei, für die tagsüber bereits Nomadenzelte und eine kleine Feldküche aufgebaut wurden, während Musiker die Wartezeit nutzten um nochmal das abendliche Lagerfeuer-Programm zu üben. Aus den umliegenden Orten kamen Marokkaner, um bei einem rasch zubereiteten grünen Tee gemeinsam in der Quelle zu baden und die Sonne zu genießen. Und nebenbei die Kleidung die sie gerade noch trugen zu waschen, aufzuhängen und nach weniger als einer Stunde trocken und gut riechend wieder anzuziehen.

Aber seit 22. März kam niemand mehr dazu und lange Zeit ist keiner, der zu dem Zeitpunkt bereits hier war, abgereist. Wie auch, ist ja Reiseverbot.

Die totale Reisesperre war bis 20. April angesetzt und wurde erst kurz vor diesem Datum um einen weiteren Monat bis 20. Mai verlängert. Heute ist Donnerstag, der 21. Mai und seit Montag wissen wir, dass das confinement, wie der Lockdown auf Französisch heißt, um weitere 3 Wochen bis zum 11. Juni verlängert wird. Grund ist unter Anderem, dass mit dem Abschlussfest des Ramadan, dem Zuckerfest, eins der wichtigsten Feste des Jahres am 24. Mai begangen wird, zu dem sich die Familien in ganz Marokko besuchen um zusammen feiern. Optimal, um Corona aus den stark betroffenen Großstädten ins ganze Land zu tragen.

Das hat uns nun schon etwas getroffen, denn Marokko hat seit Anfang März insgesamt nur 7000 bestätigte Infektionen gemeldet, so dass wir hofften, die Grenzen würden öffnen. Wir hatten ein Ticket nach Savona für den 1. Juni gekauft und uns nun doch innerlich schon auf die Abfahrt vorbereitet. Aber nun ist es wieder anders. Das Ticket wurde am Montag direkt nach Bekanntgabe storniert. Wir haben einen Gutschein erhalten und nun lautet das neue Fährdatum 15. Juni. Inshallah.

Inzwischen konnten die europäischen Botschaften erreichen, für die verbliebenen Europäer Ausreisegenehmigungen zu organisieren. Anfangs war das wegen der Weigerung der marokkanischen Regierung nicht möglich, jetzt geht es. Und so beginnen sie nun Flüge und Fähren für die festsitzenden Touristen, aber auch für die Deutschen mit marokanischen Wurzeln, die zufällig gerade hier zu Besuch bei Freunden oder Familie waren, zu organisieren. Die ersten beiden Fähren fuhren diese Woche.

Weil wir nur 10 Tage später unser Ticket nach Savona hatten und es lange so aussah, als würden die Grenzen öffnen, haben wir darauf verzichtet mit einer dieser Fähren zu fahren. Es gibt hier viele Leute, die den Platz dringender benötigen. Weil sie Medikamente brauchen, Jobverlust droht oder sie einfach Angst haben. Nach Bekanntgabe der erneuten Verlängerung waren wir dann natürlich doch etwas geknickt.

In Fask wird es jetzt deutlich wärmer, der Sommer kommt mit starken Winden direkt aus der algerischen und mauretanischen Sahara. 40 Grad und mehr über Wochen hinweg. Plötzlich lebt die Wüste. In 6 Monaten Wüste haben wir eine Schlange und 3 Skorpione gesehen. Nun mehrere in 2 Tagen. Die Hitze mögen sie wohl. Einen Vorgeschmack darauf, wie sich Sommer in der Wüste anfühlt haben wir also in den letzten Tagen bekommen.

Weil uns das – und erst recht dem armen Thio mit seinem schwarzen Fell – deutlich zu warm ist und weitere Fähren kurzfristig avisiert wurden, wir aber über 1300km von Tanger entfernt sind und der Igl nicht sehr schnell ist, beschließen wir mit einem Schrieb der deutschen Botschaft bewaffnet, bei der Provinzverwaltung eine Reisegenehmigung nach Tanger zu erwirken. Das haben wir am 19. Mai getan und nach 3 Stunden die Genehmigung erhalten. Yippieh, jetzt können wir uns wenigstens mit Einschränkungen wieder bewegen!

Der aktuelle Plan lautet also, dass wir uns langsam aber stetig in Richtung Tanger bewegen. Dabei immer wachsam nach Fähren schauen, die die Botschaft organisiert, um ggf. schnell zu buchen und hochzufahren. Und wenn das nichts wird, dann einen neuen Anlauf mit unserem auf den 15. Juni umgebuchten Ticket zu nehmen.

Und so haben wir gestern nach 10 Wochen den Wagen gestartet, konnten von unserem Übernachtungsplatz in den Bergen aus erstmals von Norden statt von Süden aus auf Fask schauen.

Heute Morgen sind wir gen Norden aufgebrochen. Ein neues Kapitel Marokko. Wenn auch unter ganz anderen Voraussetzungen. An jedm Stadteingang stehen Straßensperren und wir müssen unsere Genehmigung vorzeigen. Einmal wurden wir sogar mit Polizeieskorte mit Blaulicht durch die Stadt gefahren, damit wir nicht anhalten. Richtige Maßnahme wie wir finden, wir möchten auch so wenig Kontakt wie möglich haben auf unserem Weg nach Norden.

Mal schauen, wann wir wieder nach Europa kommen dürfen. Gerade ist die Welt jedenfalls mächtig in Ordnung. Wir sitzen am Meer bei angenehmen 30 Grad und freuen uns.

Im nächsten Teil geht es dann um die magische heiße Quelle in Fask, wo wir es so lange ausgehalten haben.

10 Kommentare zu „Lockdown in Marokko II Aufbrechen oder Aussitzen?

  1. Hallo Ihr Beiden, wir drücken die Daumen, daß es dann bald klappt und Ihr Euch langsam wieder an Europa herantastet…. 😉 Trotz allem genießt noch das Meer, alles Gute und bis bald …. Dani

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  2. Merci beaucoup Dani! Und herzliche Grüße an den Herrn Felsch. Europa wird uns wiedersehen. Eines Tages. Und dann kommen wir zum Baden vorbei und machen lecker Tajine zusammen 😉 Liebe Grüße und genießt den Frühling trotz C

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    1. Seit froh das ihr relativ unbehelligt jetzt dort am meer sitzt und genießt es. Ich wäre froh jetzt in gambia zu sein. Was hier abgeht ist echt nicht lustig und ich bin mir nicht sicher jemals wieder nach gambia zu kommen, wenn das so weiter geht hier.
      lg
      chrissy

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  3. Ja, Eva und Robert,
    auch Marcella und ich drücken euch feste die Daumen, dass Ihr zurück findet durch den corona Dschungel. Alles Liebe.

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  4. Toller Beicht, der die Situation in Marokko genau so beschreibt, wie ich es auch empfunden haben. Wir waren 6 Wochen in Tafraout im Palmenhain,später dann noch zwei Wochen in Assilah und sind seit einer Woche, über Genua, wieder in Deutschland.
    Beinahe hätten wir uns kennengelernt, wir waren am 20.03. noch in Guelmin, Fask oder Tafraout?, wir haben uns dann für die Fahrt nach Norden entschieden. Wünsche euch noch eine gute Zeit in Marokko, und irgendwann eine gute Heimreise.

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      1. Im Moment noch in Quarantäne(Baden Württemberg), ab 8.06. geht dann der Arbeitsalltag wieder los…über einen Monat später als geplant…

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  5. Hallo Robert,

    ich habe mit Spannung immer mal wieder in den Blog hineingeschaut.
    Wie ist jetzt die Situation? Seid Ihr wieder in Europa? Gar in Berlin?

    Weiterhin alles Gute!

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